Der langsame Tanz
Park zu ihr und kauften unterwegs ein, was sie zum Essen brauchten. Dann zeichnete sie ihn, solange noch Tageslicht ins Zimmer fiel.
Später kochte er bei ihr oder ließ sich zum Essen einladen. Manchmal begleitete sie ihn dann noch zur Taxifirma, und er brachte sie mit dem Wagen nach Hause. Nachts, wenn er die Betrunkenen an ihre Haustüren lehnte, zapplige Ehebrecher mit ihren Eroberungen zu den Vertreterhotels verfrachtete oder gesittete Kulturkonsumenten in ihre Uhlenhorster Villen oder Eppendorfer Stadthäuser fuhr, dann übertrug Anne die Zeichnungen auf Leinwand, und die Zahl seiner Abbilder wuchs und überwucherte die Wände.
Beim Zeichnen schwiegen sie, und wenn sie aßen, oder auf ihren Wegen durch den Park, redeten sie wenig.
Nur gelegentlich entstand ein sprudelndes Duett, das mit einem Lachen oder burschikosen Stoß an Martins Schulter endete. Als hätten sie sich darüber abgesprochen, nur in der Gegenwart füreinander dazusein und keine Vergangenheit, sei sie nun aufregend oder banal, zu zitieren, berührten ihre Reden nie ihr vorheriges Leben. Auch die Zukunft blieb tabu, mit Ausnahme der allernächsten, wenn es zum Beispiel um die Einkaufsliste fürs Essen oder andere Besorgungen ging.
Immer öfter ertappten sie sich dabei, daß sie im selben Augenblick dasselbe wollten, dasselbe Thema anschnitten oder nach demselben Gegenstand griffen. Sie ließen sich von etwas faszinieren oder verloren das Interesse daran im selben Moment, waren sich einig über ästhetische Dinge und bekamen gleichzeitig Hunger.
Er bewunderte ihre Arbeit und war stolz auf seinen Beitrag. Ihm entstand daraus ein seltsames Verhältnis zu sich selbst. Auf ihren Bildern sah er sich als Wesen und in Wirklichkeit als etwas wie einen Vorschlag. Ein Angebot. Von dem sie Gebrauch machte.
Bald war ihm auch die Nacktheit vor ihr so selbstverständlich geworden, daß ihn selbst würdelose Posen oder Perspektiven nicht mehr störten. Verharrte er auf Händen und Knien, weil sie es von ihm forderte, dann änderte sich nichts in seinem Gefühl, wenn sie bei ihrem langsamen Umkreisen hinter ihm anlangte und seinen Anus direkt vor Augen haben mußte. Es wird Kunst sein, dachte er dann, und eine andere Würde ausstrahlen.
Sein Körper und sein Wesen waren der Rohstoff.
Und dann, wenn nach und nach aus den Skizzen fertige Ölbilder entstanden waren, sah er seine eigene Gestalt in beharrlicher Bewegung immer weiter in die Welt vordringen. Wie ein langsamer Tanz war das, der für jeden seiner Schritte mehrere Tage brauchte, und in jedem dieser Schritte hielt ihn Anne einmal fest und sprang er selbst wenig später aus der Wand.
Er war kein Exhibitionist, empfand keine Lust daran, sich auszustellen, doch ihm schien, als wüchse ihm durch Annes Arbeit eine Würde zu, auf die er anders kein Anrecht hätte.
37.
Einige der Gesichter hat er schon auf Franca Brauckners Fest gesehen. Ein Fernsehjournalist, ein Kinderbuchautor, dessen Namen ihm Rudi zuflüstert, und eine Frau, die konzentrische Wellen von Aufmerksamkeit um sich zieht, wie es typisch ist für Berühmtheiten.
Die Terrasse ist schon überfüllt, als er mit Rudi an-kommt, und es dauert eine Weile, bis er endlich einen Außenposten findet, von dem aus er das Geschehen beobachten kann.
Die meisten hier kennen einander von Veranstaltungen des Goethe-Instituts, der Botschaft oder Elternabenden der deutschen Schule. Martin ist froh, teuer angezogen zu sein. Zwar müßte er in seinem verbeulten Anzug eher wie ein Spieler mit Pechsträhne oder enterbter Industriellensohn aussehen, aber die Leute hier haben ein Auge für Qualität, und vielleicht nehmen sie ihm den Schriftsteller ab, als der er von Manfred vorgestellt wurde. Ausnahmsweise ist ihm das wichtig. Er möchte sich nicht ausgeschlossen fühlen.
Immer wieder kommt Rudi her und bleibt einige Minuten bei ihm stehen, als fühle er sich für Martins Wohlergehen verantwortlich, aber die meiste Zeit scheint er Kontakte zu pflegen. Für Martin ist es, als beobachte er Rudi bei der Arbeit, wie er den Partyprofi spielt und sich routiniert hier und dort in Gespräche mischt, um nach einigen Sätzen, einem Gelächter oder Schulter-klopfen wieder weiterzuschlendern. Würde er ihn jetzt erst kennenlernen, fände er ihn unsympathisch.
Sharon hat ihn eigentümlich schüchtern begrüßt. Als wäre sie mit ihrer Frage am Telefon zu weit gegangen und müsse nun für neuen Abstand sorgen. Sie trägt ein gelbes Kleid, dessen weicher dünner Stoff
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