Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
Vom Netzwerk:
er mich jetzt fragt, ob ich die Namen der Sternbilder kenne, ist er kein Mann für mich, dachte Hortense. Ich hasse Leute, die einem die Namen von Sternen, Hauptstädten, ausländischen Währungen und schneebedeckten Gipfeln beibringen wollen, dieses ganze nutzlose Wissen, das man auf der Rückseite von Cornflakes-Packungen findet.
    »Manche Leute reagieren allergisch auf Glenn Gould«, erklärte Gary. »Die sagen, dass er immer gleich spielt … Dafür sind andere ganz verrückt nach ihm und vergöttern sogar noch seinen kaputten Klavierstuhl.«
    »Man sollte niemanden vergöttern … Jeder Mensch hat Schwächen.«
    »Sein Vater hatte ihm diesen Stuhl 1953 selbst gebaut. Er hat sich niemals davon getrennt, nicht einmal, als er fast auseinanderfiel. Er war für ihn wie ein altes Kuscheltier …«
    Bei den letzten Worten hatte seine Stimme unsicher geklungen. Er fing ihren Blick auf und fragte brüsk: »Warum siehst du mich so an?«
    »Ich weiß nicht. Du klangst plötzlich so aufgewühlt …«
    »Ich? Wieso das denn?«
    Hortense hätte nicht sagen können, wieso. Schweigend gingen sie weiter. Wie lange kenne ich ihn jetzt schon?, fragte sie sich. Acht Jahre, neun Jahre? Wir sind zusammen aufgewachsen, und trotzdem betrachte ich ihn nicht als meinen Bruder. Das wäre viel praktischer, dann brauchte ich mich nicht davor zu fürchten, dass er sich in eine andere verliebt, so richtig verliebt. Ich habe doch noch so viel zu tun, ehe ich mich auf Gefühle einlassen kann.
    »Kennst du die Namen der Sternbilder?«, fragte Gary und hob die Nase gen Himmel.
    Hortense blieb abrupt stehen und hielt sich die Ohren zu.
    »Was hast du denn?«, fragte er besorgt.
    »Nichts. Geht schon. Alles okay«, antwortete sie.
    Es lag so viel Sorge in seinem Blick, so viel Zärtlichkeit in seiner Stimme, dass es sie völlig aus der Fassung brachte. Es wurde höchste Zeit, dass sie auszog. Sie war dabei, ganz fürchterlich sentimental zu werden.
    Gesprächsfetzen und übererregte Stimmen drangen aus den angrenzenden kleinen Salons, und Joséphine stockte kurz am Eingang des Restaurants. Die Einrichtung glich einer Höhle aus Tausendundeiner Nacht : tiefe Sofas, dicke Kissen, Statuen von barbusigen Frauen, rankende Grünpflanzen, schneeweiße, samtige wilde Orchideen, bunte Teppiche, Sessel mit geschwungenen Beinen, ein Sammelsurium bizarr geformter Möbel. Die Kellnerinnen sahen aus, als wären sie einem Modelkatalog entsprungen und nur stundenweise als Statisten eingestellt, und wenn sie eine Speisekarte, einen Block oder einen Stift in der Hand hielten, dann wirkten diese wie modische Accessoires. Herablassend überreichten sie ihr Lächeln wie eine Visitenkarte und streiften Joséphine mit ihren schmalen Hüften, als wollten sie sagen: »Was wollen Sie denn hier, Sie reizloses Etwas?«
    Joséphine hatte Lampenfieber. Iris hatte den Termin für ihr gemeinsames Mittagessen mehrmals verschoben. Jedes Mal, wenn sie wegen einer Halawa-Epilation, eines Friseurbesuchs oder einer Zahnreinigung abgesagt hatte, hatte Joséphine sich herabgesetzt gefühlt. Die Freude, die sie bei Iris’ erstem Anruf durchströmt hatte, war verflogen. Beim Gedanken, ihre Schwester wiederzusehen, fühlte sie nur noch eine dumpfe Angst.
    »Ich bin mit Madame Dupin verabredet«, stotterte Joséphine die junge Frau an, die die Gäste in Empfang nahm und zu ihren Tischen führte.
    »Bitte sehr«, antwortete das traumhafte Geschöpf und schritt auf seinen traumhaft langen Beinen voraus. »Sie ist noch nicht da …«
    Joséphine folgte ihr und konzentrierte sich darauf, nichts umzustoßen. Der Minirock schwebte anmutig zwischen den Tischen hindurch, und sie fühlte sich plump und unbeholfen. Zwei Stunden lang hatte sie hilflos vor ihrem Kleiderschrank gestanden, bevor sie schließlich ihr schönstes Kleid herausgezogen hatte, doch jetzt dachte sie, dass sie besser daran getan hätte, eine alte Jeans anzuziehen.
    »Wollen Sie Ihren Mantel nicht abgeben?«, fragte das Geschöpf verwundert, als verstoße Joséphine damit gegen das Protokoll.
    »Ach, ich …«
    »Ich schicke die Garderobiere zu Ihnen«, fiel ihr das Mädchen energisch ins Wort und wandte hastig den Blick ab, um einen glanzvolleren Gast in Empfang zu nehmen.
    Ein Filmschauspieler war eingetreten, und sie hatte nicht vor, ihre Zeit noch länger an einen Sozialfall zu verschwenden.
    Joséphine ließ sich auf einen zierlichen roten Sessel sacken, der so schmal war, dass sie beinahe zur Seite gekippt wäre. Sie konnte

Weitere Kostenlose Bücher