Der langsame Walzer der Schildkroeten
ein winziges Stück Brot ab, aber vor allem hörte sie ihr zu und warf zwischendurch ein »ja, natürlich, du hast recht, nein, o nein, nein, in Wahrheit bist du doch gar nicht so« ein. Iris nahm die Komplimente mit einem »du bist lieb, Jo« entgegen, für das diese ihr dankbar war. Sie hatten sich wieder versöhnt.
Sie redeten über ihre Mutter, darüber, wie schwierig ihr Leben nach dem Weggang von Marcel geworden war, über ihre finanziellen Probleme.
»Weißt du«, seufzte Iris, »wenn man Luxus gewohnt war, ist es schwer, sich davon zu trennen. Wenn du das Leben unserer Mutter mit dem von Millionen anderen vergleichst, ist sie natürlich nicht zu bedauern, aber für sie, in ihrem Alter, ist es hart …«
Sie lächelte mitfühlend und fuhr fort: »Ich hätte auch beinahe meinen Mann verloren, deshalb weiß ich, wie sie sich fühlt …«
Joséphine stockte der Atem. Sie richtete sich auf und wartete, dass Iris weitersprach, aber diese zögerte etwas und fragte dann: »Können wir über Philippe reden? Oder stört dich das?«
»Nein, natürlich nicht, warum sollte es?«, stammelte Joséphine.
»Du wirst es mir nie glauben, aber ich war tatsächlich eifersüchtig auf dich! Ja, ja … Eine Zeit lang dachte ich, er wäre in dich verliebt. Da siehst du, wie sehr mir die Medikamente das Hirn vernebelt haben! Er hat immer nur von dir gesprochen, das ist ja auch kein Wunder, er sah dich ja so oft wegen Zoé und Alexandre, aber ich habe das falsch verstanden und ein Drama daraus gemacht … Völlig albern, was?«
Joséphine spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Sie verstand nur noch jedes zweite Wort. Sie musste die Ohren spitzen, sich vorbeugen, um die Worte zu hören, die Worte zu begreifen.
»Ich war verrückt. Völlig verrückt! Aber bei seinem letzten Besuch in Paris …«
Sie hielt kurz inne, um die Spannung zu steigern, als hätte sie eine großartige Neuigkeit zu verkünden. Ihre Lippen rundeten sich genüsslich, es versprach eine köstliche Neuigkeit zu werden. Sie behielt sie noch einen Moment im Mund, ehe sie sie aussprach.
»Er war in Paris?«, fragte Joséphine tonlos.
»Ja, und wir haben uns wiedergesehen. Und plötzlich war alles wieder genauso wie früher. Ich bin so glücklich, Jo, so wahnsinnig glücklich!«
Sie klatschte in die Hände, um ihrer gewaltigen Freude zu applaudieren. Doch dann riss sie sich abergläubisch zusammen.
»Ich taste mich ganz langsam voran, ich will ihn nicht überfahren, ich habe viele Fehler gemacht, aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Das ist der Vorteil, wenn man schon so lange ein Paar ist … Man versteht sich mit einem Wort, man verzeiht sich mit einem Blick, man umarmt sich, und alles ist gesagt.«
»Geht es ihm gut?«, stieß Joséphine hervor, für die sich die Worte »ein Paar« und »man umarmt sich« wie kleine Eisensplitter anfühlten, die in ihrer Kehle stecken blieben.
»Ja und nein, ich mache mir Sorgen um ihn …«
»Sorgen«, murmelte Joséphine, »warum denn?«
Iris setzte eine besorgte, verschwörerische Miene auf. Nahm eine Bohne vom Teller, aß sie bedächtig und sammelte derweil ihre Gedanken, um nicht irgendwas zu sagen.
»Letztes Mal, als er in Paris war und wir uns … wie soll ich sagen … und wir uns versöhnt haben, du verstehst …«
Sie lächelte verlegen und errötete leicht.
»Da habe ich einen hässlichen Fleck an seiner Leiste entdeckt. An der Innenseite des linken Oberschenkels, ganz oben …«
Sie spreizte die Beine und deutete auf die Innenseite ihres Schenkels. Joséphine betrachtete diesen Finger, der die wiedergefundene Vertrautheit zwischen Mann und Frau, zwischen Liebhaber und Geliebter symbolisierte. Dieser Finger rief sie zur Ordnung, sagte, du bist nur ein Eindringling, was glaubst du denn?
»Ich habe ihm gesagt, er soll damit zum Hautarzt gehen, ich habe darauf bestanden, aber er wollte nicht auf mich hören. Er behauptet, der Fleck sei schon immer da gewesen, er habe ihn schon einmal untersuchen lassen, und er sei harmlos …«
Joséphine hörte nichts mehr. Sie kämpfte darum, aufrecht und stumm sitzen zu bleiben, obwohl sie am liebsten laut geschrien hätte. Sie hatten miteinander geschlafen. Philippe und Iris, in den Armen des anderen. Sein Mund auf ihrem Mund, sein Mund in ihrem Mund, ihre Körper ineinander verschlungen, die zerwühlten Laken, die Worte, die man einander, trunken vor Lust, ins Ohr flüstert, das dichte schwarze Haar über das Kopfkissen gebreitet, Iris stöhnt,
Weitere Kostenlose Bücher