Der langsame Walzer der Schildkroeten
Küchentisch sinken, und ihre schlaffe, zögerliche Hand tastete nach dem Glas.
Joséphine packte sie beim Arm, zog sie hoch und führte sie sanft zu Hortenses Zimmer. Sie legte sie aufs Bett, zog ihr Schuhe und Kleider aus und half ihr unter die Decke.
»Lässt du das Licht im Flur brennen, Jo?«
»Ja, ich lasse es brennen …«
»Weißt du, was ich mir wünsche? Ich wünsche mir etwas Überwältigendes. Eine überwältigende Liebe, einen Mann wie aus deinem Mittelalter, einen tapferen Ritter, der mich mit sich nimmt und mich beschützt … Das Leben ist zu hart, viel zu hart. Es macht mir Angst …«
Sie murmelte noch einen Moment vor sich hin, dann drehte sie sich auf die Seite und versank in einen bleischweren Schlaf. Bald darauf hörte Joséphine sie schnarchen.
Sie floh zurück ins Wohnzimmer. Legte sich auf ein Sofa. Schob sich ein Kissen in den Rücken. Die Ereignisse wirbelten in ihrem Kopf durcheinander. Ich sollte sie mir nacheinander vornehmen. Philippe, Luca, Antoine. Sie lächelte traurig. Drei Männer, drei Lügen. Drei Geister, die durch ihr Leben spukten. Sie schloss die Augen und sah sie hinter ihren Lidern tanzen. Die Runde endete, und Philippes Gestalt schälte sich heraus. Seine schwarzen Augen blitzten in ihrem Traum, sie sah die rot glühende Spitze seiner Zigarre, roch den Rauch, zählte einen Kringel, zwei Kringel, die er aus gerundeten Lippen aufsteigen ließ. Sie sah ihn am Arm von Dottie Doolittle, er packte sie beim Mantelkragen, zog sie an sich, drängte sie gegen die Ofentür in ihrer Küche, drückte seine warmen, weichen Lippen auf die ihren, küsste sie. Sie fühlte, wie sich eiskalter Schmerz in ihr ausbreitete. Sie presste beide Hände auf ihren Bauch, um ihn am Wachsen zu hindern.
Sie fühlte sich sehr einsam und sehr unglücklich, legte den Kopf auf die Armlehne und weinte in kleinen Schluchzern, mit der knauserigen Sorgfalt einer Buchhalterin, die keinen Cent vergeuden will, leise vor sich hin. Sie weinte, bis sie das Echo eines anderen Schluchzens hörte. Ein lang gezogenes Stöhnen, ein monotones Wehklagen, das auf ihre Tränen antwortete.
Sie hob den Kopf und sah Du Guesclin vor sich. Er hatte die Pfoten aneinandergelegt, den Hals lang gestreckt, ließ mit geschlossenen Augen sein Jaulen zur Decke aufsteigen, variierte es wie eine singende Säge, ließ es anschwellen, abschwellen. Sie warf sich auf ihn. Umarmte ihn, überhäufte ihn mit Küssen, wiederholte wie im Rausch »Du Guesclin! Du Guesclin!«, bis er verstummte, bis sie einander ansahen, beide verwundert über diesen Strom von Tränen.
»Wer bist du nur? Wer bist du? Du bist kein Hund! Du bist ein menschliches Wesen.«
Sie streichelte ihn. Er fühlte sich warm an unter ihren Fingern und fester als eine Betonwand. Er stützte sich auf seine starken, muskulösen Beine und betrachtete sie aufmerksam wie ein Kind, das gerade Sprechen lernt. Sie hatte den Eindruck, dass er sie nachahmte, um sie besser zu verstehen, um sie besser lieben zu können. Er ließ sie nicht aus den Augen. Nahm nichts anderes wahr. Seine Liebe war wie eine Wärmflasche, und sie lächelte unter Tränen. Warum weinst du denn?, schien er zu fragen. Siehst du nicht, dass ich da bin? Siehst du nicht, wie sehr ich dich liebe!
»Und du warst immer noch nicht draußen! Du bist wirklich ein außergewöhnlicher Hund! Sollen wir gehen?«
Er wackelte mit dem Hinterteil. Sie lächelte bei dem Gedanken, dass er niemals in der Lage sein würde, mit dem Schwanz zu wedeln, dass man niemals erkennen würde, ob er zufrieden war oder nicht. Ihr fiel ein, dass sie eine Leine besorgen musste, doch dann besann sie sich. Die würde sie nicht brauchen. Er würde sie niemals verlassen. Das stand in seinem Blick geschrieben.
»Du wirst mich nicht verraten, oder?«
Mit wiegendem Hintern wartete er darauf, dass sie endlich mit ihm nach draußen ging.
Als sie wieder zurück waren, öffnete sie Zoés Zimmertür einen Spalt, und Du Guesclin tapste zum Fußende des Bettes. Er drehte sich auf dem Kissen mehrmals im Kreis und ließ sich schließlich mit einem tiefen Seufzer darauf nieder.
Zoé schlief in einen Pullover gewickelt. Joséphine ging näher heran und berührte ihn. Sie betrachtete das glückliche Gesicht ihrer Tochter, das Lächeln auf ihren Lippen, und begriff, dass es Gaétans Pullover war.
»Mach es nicht so wie ich«, flüsterte sie Zoé zu. »Lauf nicht an der Liebe vorbei, weil du glaubst, du wüsstest so wenig von ihr, dass du sie nicht
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