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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Recht haben, meinem Leben ein Ende zu setzen? Warum sollten sie mir diese letzte Freiheit verwehren? Bei dem, was das Leben mir noch zu bieten hat! Mit siebenundvierzigeinhalb ist es vorbei. Die Falten werden immer tiefer, das Elastin verflüchtigt sich. Anfangs richtet das Alter seine Verwüstungen noch im Verborgenen an. Doch wenn es einen nach und nach aufgefressen hat, wenn man nur noch eine schlaffe, wabbelige Masse ist, dann lässt es alle Zurückhaltung fahren und verrichtet sein zerstörerisches Werk ganz ungeniert. Ich sehe es jeden Tag. Mit meinem kleinen Spiegel inspiziere ich meine Haut, suche nach Fettröllchen. Und indem ich den ganzen Tag nur hier herumliege, ziehe ich sie geradezu an. Ich verkümmere in diesem Bett. Mein Teint wird wächsern wie eine Sakristeikerze. Ich sehe es in den Augen der Ärzte. Sie schauen mich nicht an. Reden mit mir, als wäre ich ein Messbecher, den sie mit Medikamenten füllen. Ich bin keine Frau mehr, ich bin ein Laborkolben.
    Sie packte ein Glas und schleuderte es gegen die Wand.
    »Ich will mich sehen!«, schrie sie. »Ich will mich sehen! Gebt mir meinen Spiegel zurück.«
    Er war ihr bester Freund und ihr schlimmster Feind. Er spiegelte den flüssigen, tiefen, schimmernden Glanz ihrer blauen Augen oder ihre Fältchen. Wenn sie ihn dem Fenster zuwandte, tauchte er sie manchmal in ein Licht, das sie jünger erscheinen ließ. Wenn sie ihn zur Wand drehte, machte er sie zehn Jahre älter.
    »Meinen Spiegel!«, schrie sie und schlug mit den Fäusten auf das Laken. »Meinen Spiegel, oder ich schneide mir die Kehle durch. Ich bin nicht krank, ich bin nicht verrückt, ich wurde von meiner Schwester verraten. Und das ist eine Krankheit, die ihr nicht heilen könnt.«
    Sie packte den Löffel, mit dem sie ihren Saft einnahm, wischte ihn mit einem Betttuchzipfel blank und drehte ihn so, dass sie ihr Spiegelbild darin sehen konnte. Doch sie erblickte lediglich ein verzerrtes Gesicht, das aussah, als wäre es von einem ganzen Bienenschwarm zerstochen worden. Sie warf ihn gegen die Wand.
    Was ist denn nur geschehen, dass ich jetzt ganz allein dastehe, ohne Freunde, ohne Mann, ohne Kind, abgeschnitten vom Rest der Welt?
    Existiere ich überhaupt noch?
    Allein ist man niemand mehr. Der Gedanke an Carmen bewies ihr das Gegenteil, doch sie schob ihn beiseite. Carmen, die zählt doch nicht, sie hat mich immer geliebt, und sie wird mich auch in Zukunft lieben. Außerdem langweilt sie mich. Treue langweilt mich, Tugendhaftigkeit bedrückt mich, Schweigen zerfetzt mir das Trommelfell. Ich will Lärm um mich herum, Gelächter, Champagner, rosa Lampenschirme, begehrliche Männerblicke, lästernde Freundinnen. Bérengère hat mich nicht besucht. Sie hat ein schlechtes Gewissen, also schweigt sie, wenn auf Pariser Dinnerpartys schlecht über mich geredet wird, sie schweigt, bis sie es nicht mehr aushält und in das Gegeifer der Meute einfällt. »Ihr seid gemein«, ruft sie dann, »die arme Iris hat es nicht verdient, in einer Klinik zu versauern, sie war doch bloß unvernünftig«, und die anderen schreien in schrillem Stakkato auf. »Unvernünftig? Du bist ja gut! Verlogen, willst du wohl sagen! Schlichtweg verlogen!« So von ihrer Freundinnentreue entbunden, spricht sie genüsslich weiter, kostet jedes Wort aus, lässt sich in den Sumpf von Klatsch und Tratsch hinabgleiten: »Ihr habt recht, es war nicht richtig, was sie getan hat. Ganz und gar nicht richtig!« Und dann schließt sie sich erregt dem Kreis der Lästerzungen an, die, jede auf ihre Weise, der Abwesenden einen Makel hinzufügen. »Und recht geschieht ihr«, schließt die Gehässigste von ihnen, »jetzt kann sie uns nicht länger verachten, jetzt ist sie ein Niemand.« Ende der Grabrede, wo ist das nächste Opfer?
    Sie haben nicht unrecht, musste sich Iris eingestehen, während sie das weiße Zimmer, die weißen Laken, die weißen Vorhänge musterte. Wer bin ich denn schon? Niemand. Ich habe überhaupt keine Substanz. Ich habe alles verpfuscht, mich könnte man als Beispiel für den Begriff »Scheitern« ins Wörterbuch aufnehmen. Scheitern, das, siehe Iris Dupin. Es wäre sinnvoller, wieder meinen Mädchennamen anzunehmen, ich bleibe bestimmt nicht mehr lange verheiratet. Joséphine wird mir alles wegnehmen. Mein Buch, meinen Mann, meinen Sohn, mein Geld.
    Kann man abgeschnitten von seiner Familie, von seinen Freunden, von seinem Mann, von seinem Kind leben? Auch abgeschnitten von sich selbst. Ich werde zu reinem Geist. Werde in

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