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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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das Nichts eingehen, feststellen, dass ich niemals die geringste Substanz hatte. Dass ich immer nur ein Trugbild war.
    Früher existierte ich, weil die anderen mich ansahen, mir Gedanken zuschrieben, Begabungen, einen Stil, Eleganz. Früher existierte ich, weil ich die Frau von Philippe Dupin war, weil ich über die Kreditkarte von Philippe Dupin verfügte, über das Adressbuch von Philippe Dupin. Man fürchtete mich, man respektierte mich, man beweihräucherte mich mit scheinheiligen Lobeshymnen. Ich konnte Bérengère herunterputzen, meine Mutter beeindrucken. Ich hatte es geschafft.
    Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte wütend auf. Was für ein erbärmlicher Erfolg, der einem nicht gehört, den man sich nicht selbst Schritt für Schritt erarbeitet hat! Wenn man ihn verliert, bleibt einem nur noch, sich auf die Straße zu kauern und die Hand auszustrecken.
    Es war noch gar nicht so lange her, vor ihrer Erkrankung, da war Iris eines Abends, die Arme voller Taschen, vom Einkaufen zurückgekommen. Sie war gerannt, um ein Taxi zu erwischen, und dabei an einer Bettlerin vorbeigekommen, die auf dem Bürgersteig kniete, den Blick auf den Boden gerichtet, den Kopf gesenkt. Danke, Monsieur, danke, Madame, sagte sie mit erstickter Stimme bei jeder Münze, die in ihren Becher fiel. Es war nicht die erste Bettlerin, der sie begegnete, aber diese hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, sie wusste auch nicht, wieso. Sie hatte ihre Schritte beschleunigt und den Blick abgewandt. Keine Zeit, ihr ein Almosen zu geben, das Taxi würde ihr vor der Nase wegfahren, abends gingen sie aus, sie musste sich hübsch machen, ein Bad nehmen, eines aus den Dutzenden von Kleidern auswählen, die in ihrem Schrank hingen, sich frisieren, Make-up auflegen. Als sie nach Hause gekommen war, hatte sie Carmen gefragt: »Ich werde doch nicht enden wie diese Bettlerin? Ich will nicht arm sein.« Carmen hatte ihr versichert, dass das niemals geschehen werde, dass sie sich die Finger wund putzen werde, damit sie auch in Zukunft glänzen könne. Sie hatte ihr geglaubt. Sie hatte die Bienenwachsmaske aufgetragen, hatte sich ins warme Wasser gleiten lassen und die Augen geschlossen.
    Und jetzt sehe ich fast schon aus wie eine Bettlerin, dachte sie und hob das Bettlaken an, um ihren Spiegel zu suchen. Vielleicht ist er ja irgendwohin gerutscht. Ich habe ihn nicht zurückgelegt, und jetzt versteckt er sich in einer Falte.
    Mein Spiegel, gebt mir meinen Spiegel zurück, ich will mich sehen, mich vergewissern, dass ich existiere, dass ich mich nicht in Luft aufgelöst habe. Dass ich immer noch gefallen kann.
    Die Medikamente, die man ihr abends gab, begannen zu wirken, sie fantasierte noch eine Weile, sah ihren Vater am Fußende des Bettes Zeitung lesen, ihre Mutter, die den Sitz ihrer Hutnadeln überprüfte, Philippe, der sie im weißen Kleid zum Altar führte. Ich habe ihn nie geliebt. Ich habe niemals jemanden geliebt, aber ich möchte selbst geliebt werden. Armes Ding! Du machst dich lächerlich. Eines Tages wird mein Prinz kommen, eines Tages wird mein Prinz kommen … Gabor. Er war mein Märchenprinz. Gabor Minar. Der Regisseur, den die ganze Welt bewundert, dessen Name so viel Licht spendet, dass man sich von seinem Schein wärmen lassen möchte. Ich hätte alles für ihn aufgegeben: Mann, Kind, Paris. Gabor Minar. Ich habe ihn nicht geliebt, als er noch arm und unbekannt war, nein, erst als er berühmt war, habe ich mich ihm an den Hals geworfen. Ich brauche immer die Bestätigung der anderen. Sogar um zu lieben. Was für eine erbärmliche Geliebte ich doch bin!
    Iris neigte nicht zur Selbsttäuschung, was ihr Unglück noch vergrößerte. Zwar konnte sie in einem Wutanfall ungerecht werden, doch sie kam danach schnell wieder zur Besinnung und verfluchte sich selbst. Verfluchte ihre Feigheit, ihre Flatterhaftigkeit. Das Leben hat mir alles in die Wiege gelegt, und ich habe nichts daraus gemacht. Ich habe mich auf den Wogen des bequemen Lebens treiben lassen.
    Wenn sie nur ein wenig Achtung vor sich selbst empfunden hätte, hätte sie dank dieses erbarmungslosen Scharfblicks, der sie manchmal schwärzer erscheinen ließ, als sie tatsächlich war, ihr Selbstbild auch korrigieren und anfangen können, sich zu lieben. Doch Achtung vor sich selbst entsteht nicht einfach so. Sie erfordert Mühe, und allein schon beim Gedanken daran rümpfte sie angewidert die Nase. Außerdem ist es jetzt ohnehin zu spät, konstatierte sie pragmatisch. Mit

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