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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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über in meinem Zimmer!«
    »Nein.« Das war sein letztes Wort. »Und jetzt hör auf, mich zu drängen, sonst wirst du noch eins dieser lästigen, jammernden Mädchen, die ich nicht ausstehen kann.«
    Hortense war auf der Stelle verstummt. Niemals würde sie sich verhalten wie irgendjemand anders, sie war einzigartig und arbeitete hart daran, es auch zu bleiben. Und niemals würde sie etwas tun, was sie Garys Freundschaft kosten könnte. Dieser Junge war ohne jeden Zweifel der begehrteste Junggeselle seines Alters in ganz London. Königliches Blut floss in seinen Adern, niemand sollte davon erfahren, aber sie wusste Bescheid. Sie hatte gehört, wie ihre Mutter mit Shirley darüber gesprochen hatte. To make a long story short , Gary war der Enkel der Königin. Seine Oma wohnte im Buckingham Palace. Er spazierte mit den Händen in den Taschen ins Gebäude und verlief sich nie. Er wurde zu Partys, zur Eröffnung von Nachtklubs, zu Vernissagen, zum Brunch, zum Lunch und zum Dinner eingeladen. Auf dem Tisch im Eingang stapelten sich die Einladungskarten, die er zerstreut durchblätterte. Er trug immer den gleichen schwarzen Rollkragenpullover, die gleiche unförmige Jacke, die gleiche ausgebeulte Hose über unmöglichen Schuhen. Es war ihm völlig egal, wie er aussah. Seine dunklen Locken waren ihm egal, seine großen grünen Augen, all die Details, die sie an ihm hervorhob, um ihn in ein günstiges Licht zu rücken, waren ihm egal. Er hasste es, auszugehen, nur um sich irgendwo sehen zu lassen. Sie musste ihn anflehen, damit er Einladungen annahm und sie mitnahm.
    »Es geht um meine Beziehungen, Gary. Ohne Beziehungen ist man ein Niemand, und du kennst doch jeden in London.«
    »Da liegst du falsch! Meine Mutter kennt jeden, ich nicht. Ich muss mir erst noch einen Namen machen, aber dazu habe ich nicht die geringste Lust, verstehst du? Ich bin neunzehn, ich bin, was ich bin, ich versuche, besser zu werden, das ist schon mühsam genug. Ich mache, was ich will, und so gefällt es mir. Und du wirst mich garantiert nicht dazu bringen, mich zu ändern, sorry!«
    »Aber du kannst doch überallhin, du hast doch schon einen Namen«, erwiderte Hortense ungeduldig. Garys übertriebener Ernst nervte sie. »Das kostet dich überhaupt nichts, und mir würde es eine Menge bringen! Sei nicht so egoistisch. Denk doch auch mal an mich!«
    »No way.«
    Er ließ sich nicht umstimmen. Wie oft sie auch mit ihm schimpfte und ihn bedrängte, er ignorierte sie einfach und setzte seine Kopfhörer wieder auf. Er wollte Musiker werden, Dichter oder Philosoph. Nahm Klavierstunden, besuchte Philosophie-, Theater- und Literaturkurse. Schaute alte Filme und knabberte dabei Bio-Chips, notierte seine Gedanken in karierten Heften und versuchte, den ruckhaften Gang der Eichhörnchen im Hyde Park nachzuahmen. Manchmal hüpfte er mit gekrümmten Armen und vorgeschobenen Zähnen durch das große Wohnzimmer.
    »Gary! Du machst dich lächerlich!«
    »Ich bin ein wunderschönes Eichhörnchen! Der König der Eichhörnchen mit schimmerndem Fell!«
    Er imitierte Eichhörnchen, zitierte lange Passagen von Oscar Wilde oder Chateaubriand, Dialoge aus Scarface und Die Kinder des Olymp. »Sie sind erstaunlich, Edouard. Sie sind nicht nur reich, Sie verlangen auch noch, dass man Sie liebt, als ob Sie arm wären. Und die Armen? Ganz ernsthaft, mon ami , denen soll man doch nicht alles nehmen.« Er ließ sich in einen Sessel fallen, der George V. gehört hatte, legte eine Hand ans Kinn und dachte über die Schönheit dieser Sätze nach.
    Er war, das musste sie zugeben, charmant, scharfsinnig und originell.
    Er verweigerte sich der Konsumgesellschaft. Duldete Handys, aber ignorierte alle modischen Spielereien. Wenn er Kleidung kaufte, nahm er immer nur ein Exemplar. Selbst wenn die Hemden im Angebot waren, zwei zum Preis von einem.
    »Nimm doch das zweite auch noch, es ist umsonst!«, beharrte Hortense.
    »Ich habe nur einen Körper, Hortense!«
    Und außerdem, grübelte sie, während sie an ihren Gummihandschuhen schnupperte, sieht er gut aus. Groß, attraktiv, reich, von königlichem Geblüt, und das alles auf hundertfünfzig Quadratmetern direkt am Green Park. Ohne dafür auch nur einen Finger krumm zu machen. Das ist nicht fair.
    Sie fuhr mit dem Staubsauger über die Armlehnen eines alten ledernen Klubsessels. Klar gibt’s einige, die mir hinterherlaufen, aber die sind hässlich. Oder klein. Ich hasse kleine Männer. Das ist die bösartigste, verbittertste,

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