Der langsame Walzer der Schildkroeten
von mir?«, fragte Gary und drehte sich im Weitergehen nach ihm um.
Die beiden Männer maßen sich mit Blicken.
Hortense packte Gary beim Arm und zog ihn mit sich.
»Lass gut sein! Das ist einer von den sabbernden Säcken, die um sie herumschwirren.«
»Habt ihr euch schon wieder gestritten?«
Sie blieb stehen, drehte sich zu ihm um, setzte die flehendste, anrührendste Miene auf, derer sie fähig war, und bat mit zärtlicher Stimme: »Meinst du nicht, ich könnte vielleicht bei dir einz…«
»Nein! Hortense! Das kommt überhaupt nicht infrage! Sieh zu, wie du mit deiner Mitbewohnerin klarkommst, aber ich will allein bleiben und meine Ruhe haben!«
»Sie hat gedroht, mir mit einer Zange die Brüste abzureißen!«
»Sieh mal einer an, da scheint ja eine noch härter drauf zu sein als du. Das wird ein spannendes Match! Reservierst du mir einen Platz in der ersten Reihe?«
»Mit oder ohne Popcorn?«
Gary lachte. Dieses Mädchen hatte aber auch auf alles eine Antwort. Der Mann, der ihr den Mund verbieten oder sie dazu bringen würde, den Blick zu senken, war noch nicht geboren. Na gut, hätte er beinahe gesagt, meinetwegen, zieh bei mir ein, aber er besann sich.
»Mit Popcorn, aber süß! Und mit ganz viel Zucker drauf!«
Rings um das Bett lagen die Kleider, die sie sich vom Leib gerissen hatten, ehe sie auf das King-Size-Bett gesunken waren, das die Hälfte des Zimmers einnahm. Die Vorhänge waren mit roten Herzen bedruckt, ein rosafarbener Acrylteppich bedeckte den Boden, und ein durchsichtiger Gazeschleier hing über dem Bett wie eine Art mittelalterlicher Baldachin.
Wo bin ich?, fragte sich Philippe Dupin, während er sich im Zimmer umsah. Ein brauner Stoffbär, dem ein gläsernes Auge fehlte, was ihm ein tieftrauriges Aussehen verlieh, ein buntes Durcheinander aus kleinen bestickten Kissen, darunter eines mit der Bitte Won’t you be my sweetheart? I’m so lonely, Postkarten mit Kätzchen in allen möglichen akrobatischen Verrenkungen, ein Poster von Robbie Williams als Bad Boy mit herausgestreckter Zunge, Fotos lachender, einander Küsschen zuwerfender Mädchen.
Meine Güte! Wie alt ist sie? Gestern Abend im Pub hatte er sie auf achtundzwanzig, dreißig geschätzt. Doch als er jetzt die Wände betrachtete, war er sich dessen nicht mehr so sicher. Er erinnerte sich nicht mehr genau daran, wie er sie angesprochen hatte. Gesprächsfetzen kamen wieder hoch. Immer die gleichen. Nur der Pub oder das Mädchen wechselten.
»Can I buy you a beer?«
»Sure.«
Sie hatten an der Theke ein, zwei, drei Bier getrunken und nebenbei auf den Fernseher geschaut, in dem ein Fußballspiel übertragen wurde. Manchester gegen Liverpool. Die Anhänger grölten und knallten ihr Glas auf die Theke. Sie trugen Trikots ihrer Mannschaft und stießen einander bei jeder gelungenen Aktion mit den Ellbogen in die Seite. Hinter der Theke rannte ein junger Mann in weißem Hemd hin und her und rief einem anderen, dessen Arm am Zapfhahn festgeschweißt zu sein schien, Bestellungen zu.
Sie hatte sehr feines blondes Haar, einen blassen Teint und dunkelroten Lippenstift, der an ihrem Glas einen Rand aus blutroten Halbmonden zurückließ. Sie kippte ein Bier nach dem anderen. Rauchte eine Zigarette nach der anderen. In der Zeitung hatte er einen Artikel gelesen, dessen Verfasser sich besorgt über die wachsende Zahl schwangerer Frauen äußerte, die rauchten, um ein winzig kleines Baby zu bekommen, damit die Geburt weniger schmerzhaft sei. Er hatte ihren Bauch gemustert: flach, sehr flach. Sie war nicht schwanger.
» Fancy a shag?« , hatte er leise gefragt.
»Sure. My place or your place?«
Er zog es vor, zu ihr zu gehen. Bei ihm zu Hause schliefen Alexandre und Annie, die Kinderfrau.
Im Moment verbringe ich meine Zeit damit, in fremden Zimmern aufzuwachen, neben Körpern, die ich nicht kenne. Ich komme mir vor wie ein Pilot, der jeden Abend das Hotel und die Frau wechselt. Wenn man es weniger nachsichtig ausdrücken wollte, könnte man auch sagen, ich bin geradewegs in die Pubertät zurückgerauscht. Bald werde ich mit Alexandre SpongeBob schauen und die Dialoge von Thaddäus Tentakel auswendig lernen.
Mit einem Mal verspürte er den Wunsch, nach Hause zu gehen, um seinen Sohn schlafen zu sehen. Alexandre war dabei, sich zu verändern, seine Persönlichkeit trat immer deutlicher zutage. Er hatte sich sehr schnell an die englische Lebensweise gewöhnt. Trank Milch, aß Muffins, hatte gelernt, die Straße zu überqueren, ohne
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