Der langsame Walzer der Schildkroeten
einer Hand in die andere gleiten zu lassen, klemmte sie unter den rechten Arm, unter den linken Arm, prüfte ihr Spiegelbild in der Aufzugtür, drehte sich hin und her, wirbelte im Kreis herum, als sich die Tür schließlich öffnete und eine wunderschöne Frau zum Vorschein kam. Eines jener Geschöpfe, die so elegant sind, dass man auf der Straße stehen bleibt, sie studiert und zu verstehen versucht, wie sie dieses Wunder vollbracht haben: so einzigartig und strahlend zu sein ohne auch nur den geringsten Hauch von Banalität. Sie trug ein eng anliegendes schwarzes Kleid, ein mit pralinengroßen falschen Diamanten besetztes »Collier de chien«-Armband, Ballerinas, lange schwarze Handschuhe und eine riesige Sonnenbrille, die eine hinreißende kleine Stupsnase und einen zarten roten Kirschmund betonte. Ein Mysterium der Schönheit. Eine Aura betörender Weiblichkeit. In einem Schwarz, das funkelte, so sehr war es etwas anderes als Schwarz. Hortense klappte der Unterkiefer herunter. Sie war bereit, diesem wundervollen Geschöpf bis ans Ende der Welt zu folgen, um ihm seine Geheimnisse zu entreißen. Sie sah dieser Erscheinung nach, und als sie sich schließlich wieder der offenen Aufzugtür zuwandte, bemerkte sie einen Mann, der auf dem Boden kniete und den Inhalt einer umgefallenen Handtasche aufsammelte. Nicholas blockierte die Aufzugtür, und sie hörte, wie der Mann sagte: »Tut mir leid … Vielen Dank.« Wie sieht der Mann aus, der diese wundervolle Frau begleitet?, fragte sich Hortense und wartete mit angehaltenem Atem darauf, dass er aufstand.
Er ähnelte Gary.
Sein Blick fiel auf Hortense, und er zuckte zurück, als hätte er sich an heißem Pech verbrannt.
»Gary?«, rief das wundervolle Geschöpf. »Kommst du, love ?«
Hortense schloss die Augen, um nichts mehr sehen zu müssen.
»Ich komme …«, antwortete Gary und küsste Hortense auf die Wange. »Wir telefonieren?«
Sie öffnete die Augen und kniff sie gleich wieder zusammen. Das war ein Albtraum.
»Hmm … hmm«, sagte Nicholas, der sein Gespräch beendet hatte. »Gehen wir?«
Das hinreißende Geschöpf hatte sich an einen Tisch gesetzt und winkte Gary zu sich. Sie schob ihre dicke Brille hoch, hinter der zwei lauernde mandelförmige, schwarze Augen sichtbar wurden, die verwundert dreinblickten, weil nirgendwo Horden von Paparazzi zu sehen waren, die sie verfolgten.
»Gehen wir?«, wiederholte Nicholas, der immer noch die Aufzugtür offen hielt. »Ich habe nicht vor, hier Liftboy zu werden!«
Hortense nickte und grüßte Gary, als erkennte sie ihn nicht.
Sie betrat den Aufzug und ließ sich gegen die Wand sinken. Ich werde bis in den Keller durchkrachen. Bis in die Hölle.
»Was hältst du von einem Bummel durch Camden?«, fragte Nicholas. »Letztes Mal habe ich da zwei Strickjacken von Dior für zehn Pfund gefunden! A real bargain! «
Sie sah ihn an. Viel zu langer Oberkörper, dachte sie und trat auf ihn zu, aber schöne Augen, ein schöner Mund, er hat etwas von einem Freibeuter … Wenn ich mich auf den Freibeuter konzentriere, vielleicht …
»Ich liebe dich«, sagte sie und beugte sich zu ihm vor.
Er zuckte überrascht zusammen und küsste sie zärtlich. Er küsste gut. Er ließ sich Zeit.
»Meinst du das ernst?«
»Nein. Ich wollte nur wissen, wie es ist, das zu sagen. Ich habe das noch nie zu jemandem gesagt.«
»Ach so …«, entgegnete er enttäuscht. »Ich dachte mir schon, dass das …«
»Etwas zu schnell kam … Du hast recht.«
Sie hakte sich bei ihm ein, und sie gingen in Richtung Regent Street.
Plötzlich blieb Hortense wie erstarrt stehen.
»Aber die ist alt!«
»Wer?«
»Die Frau aus dem Aufzug, die ist uralt!«
»Du übertreibst … Charlotte Bradsburry, die Tochter von Lord Bradsburry, gesteht sechsundzwanzig Jahre ein, um nicht zugeben zu müssen, dass sie in Wahrheit neunundzwanzig ist.«
»Sag ich doch, alt!«
»Sie ist eine Ikone, meine Liebe, eine Ikone der Londoner Szene! Abschluss in Cambridge, kluge, belesene Literaturkennerin, verfolgt alle aktuellen Entwicklungen in Kunst und Musik, hin und wieder großzügige Mäzenin, und was noch hinzukommt: Sie genießt einen ausgezeichneten Ruf als Entdeckerin neuer Talente! Sie stellt ihre Zeit und ihre Beziehungen in den Dienst junger Unbekannter, die dann sehr schnell berühmt werden.«
»Neunundzwanzig! Müsste die nicht längst tot sein?«
»Eine hinreißende Frau und Chefredakteurin von The Nerve , du weißt schon, das Magazin, das ..«
»The
Weitere Kostenlose Bücher