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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Er ging, soweit es sein Fuß ihm erlaubte, gemessenen Schrittes. Noch ehe er die Straße überquert hatte, war er tot. Nicht sofort. Ihm blieben, von der Straßenbahn aufs Pflaster geworfen, noch einige Sekunden.
    Er war glücklich. Er spürte keinen Schmerz. Er sah eine Menge Leute um sich herum, neugierige, besorgte, erschreckteGesichter. Es interessierte ihn nicht mehr. Darum war er glücklich.
    Seht ihr denn nicht, wie blau der Himmel heute ist?!
    Der herbeigerufene Arzt erzählte noch lange danach, nicht bei jeder Gelegenheit, sondern nur, wenn er glaubte, einen Menschen gut genug zu kennen: Bevor er starb, sagte er noch: Ja, sehen Sie denn nicht, wie blau der Himmel ist …
    Siyakuu hatte noch am Tag des Unfalls an Estragons Wohnungstür geklingelt. So lange, bis eine Frau die benachbarte Tür öffnete und sagte: Ja, wissen Sie denn nicht …
    Nein, Siyakuu hatte nichts geahnt, sie hatte sich während der letzten Woche mehrmals mit dem Professor getroffen, nicht einmal ärgerlich darüber, dass Estragon zu diesen Verabredungen nicht erschienen war. Ja, sie wollte nach Südland. Doch nun, ohne Estragon?

XXI
    Estragon hatte sie gefunden, damals, als sie, wochenlang im Gebälk eines Brunnens versteckt, dem Wahnsinn nahe war.
    In einem Lager bei Aleppo war es gewesen, da war ein Sheik durch die Gassen der Zelte geritten und hatte nach jungen Frauen Ausschau gehalten. Er verstand es, genau zu unterscheiden zwischen denen, die ein langer Weg zu alten Weibern gemacht hatte, und jenen, die eine kurze Reise bisher gut überstanden, sich aber aus Furcht vor Vergewaltigung Ruß ins Gesicht und Lehm ins Haar geschmiert hatten. Als der Sheik vom Pferd herab auf sie deutete, rannte Siyakuu in Panik davon. Sie glaubte schon, sie sei im Gewirr der Zelte entkommen, als sie jemand zu Fall brachte und eine Decke über sie warf.
    Ruhig, ruhig, ganz ruhig.
    Die heiseren türkischen Worte ließen sie das Schlimmste befürchten. Später blickte sie in ein knochiges sonnenverbranntes Gesicht, dessen Bartgestoppel schon etliche graue Flecken aufwies. Wenn ihr der Mann auch nichts antat, so wusste sie doch lange nicht, ob dieser Maultiertreiber, der sie in türkische Pumphosen gesteckt und ihr einen Schleier übergeworfen hatte, sie nicht am Ende noch verkaufen würde.
    Tagelang waren sie unterwegs. Sie folgten anfangs der Bahnstrecke nach Bagdad, sie auf einem der Maultiere, der Mann ging wortkarg nebenher. Bald ließen sie den Bahndamm zu ihrer Rechten liegen und wandten sich nach Norden. So erreichten sie Urfa.
    Brandgeruch lag über Urfa, die man die Stadt Abrahams nannte. Unbeeindruckt vom grollenden Donner eines Geschützes,führte der Mann Siyakuu zu einem Teich, in dessen klarem Wasser zahllose rote Fische schwammen. Seine hoch beladenen Maultiere band er an einen dicht dabeistehenden Olivenbaum. Dann griff er in seine Kamelhaartasche, die er an einem Riemen über der Schulter trug, und holte eine Handvoll Krumen hervor. Nachdem er ein paar wenige Krümel ins Wasser geworfen hatte, erfasste er Siyakuus Hand, gab die Krumen hinein und bedeutete ihr, ein Gleiches zu tun.
    Die Fische haschten nach den im Teich treibenden Krumen. Immer mehr schwammen heran und brachten mit ihrer Jagd nach den Brosamen das Wasser zum Brodeln.
    Der Mann, der bisher kaum mehr als seinen Namen, Ismael, von sich gegeben hatte, begann plötzlich in feinstem Osmanli von der wundersamen Errettung Abrahams zu erzählen:
    Als Abraham noch ein junger Mann war, schlich er sich nachts in den Tempel und zerschlug dort die tönernen Götzen.
    Dafür sollst du brennen!, sagte König Nimrod und ließ einen großen Scheiterhaufen errichten. Da aber der Scheiterhaufen so groß war und das Feuer alles in seiner Nähe versengte, gelang es den Wachen des Königs nicht, Abraham in die Flammen zu stoßen. Da holten sie ein Katapult, um Abraham mit dessen Hilfe in das Feuer zu schießen.
    Als Abraham durch die Luft flog, schickte er ein Stoßgebet zum Himmel. Da verwandelte Gott, als Abraham aufschlug, das Feuer in klares Wasser. So wurde er gerettet. Und die durch Abrahams Aufprall emporgeschleuderten Glutbrocken fielen als rote Fische herab in diesen See.
    Wir …, sagte Ismael eben, da schlug eine verirrte Granate ins Wasser des Teiches. Hastig band er die Maultiere los und zog Siyakuu fort.
    Wenige Minuten später, als er mit der Hand die Gasse hinauf zum armenischen Viertel wies, wurde sein Brustbeinvon einem Gewehrschuss zerschmettert. Jemand rief und winkte aus

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