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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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die Macht übernahmen. Nach Malinowskis Ansicht habe Zumpfhagen lediglich die Gelegenheit genutzt, seinen Widersacher aus dem Universitätsbetrieb zu drängen.
    Arisch … jüdisch … deutsch … polnisch? Ich bin Malinowski – Punkt. Ihnen passt einzig meine Hypothese nicht, dass wir alle Kanaken sind.
Kanaka
nennen sich die Polynesier: Mensch.
    So sei er, erzählte Malinowski gern und oft, an die beste deutsche Universität jener Tage gelangt: nach Istanbul. – Tja, der Herr Hitler ließ die deutschen Universitäten nach seinem Gusto säubern. Per Gesetz – es muss alles seine Ordnung haben –
Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums
. Das war in Deutschland. 1933. In der Türkei wollte Atatürk alles haben wie im Westen. Auch eine Universität. Kurzerhand machte er in Istanbul die alte zu und eine neue auf. So hätten etliche, der von den Nazionalen forsch Hinausgeputzten, wie Malinowski es nannte, nicht nur Tisch und Bett beim Vater aller Türken, sondern auch einen Lehrstuhl gefunden; er, Malinowski, an der Philosophischen Fakultät.
    Der Vertrag war auf fünf Jahre befristet. Malinowski brauchte noch ein weiteres Jahr für sein Projekt. Er lebte in dieser Zeit von kleineren Arbeiten für verschiedene Zeitschriften, also von wenig. Dann war sie fertig, seine Schrift: »Über den Ursprung der Menschheit und die Gleichheit der Rassen«. Eine hochbrisante Arbeit, so der Grundtenor einer philosophischen Konferenz, die Malinowski kurz darauf mit einem Vortrag eröffnete.
    Da meldete sich ein Mitemigrant Malinowskis zu Wort. Ausgerechnet sein alter Doktorvater donnerte los: Auch wenn der geschätzte Kollege nicht auf dem Gebiet der exakten Naturwissenschaften, auf die er sich zwar hie und da berufe, sondern der Philosophie zu brillieren gedenke, sei seine Hauptthese vom versunkenen Südland, allein aus indigenen Mythen belegt, reichlich spekulativ.
    Heute erst habe er erfahren, dass Himmlers
Amt Ahnenerbe
eine Expedition in den Himalaja ausrüste, um die Vorfahren der Nazis zu finden. Eine andere sei unterwegs nach Südamerika, um dort nach Spuren germanischer Blondlinge zu graben. Und, fragte der Kritiker abschließend, was tut unser geschätzter Kollege? Er erzählt Märchen. Märchen, meine Herren, ich bitte Sie! Wo sind die Fakten, wo die Beweise?!
    Beweise, sprach Malinowski mit zitternder Stimme, Sie wollen Beweise. Die sollen Sie haben.
    An jenem Abend mied Malinowski das vornehmlich von deutschen Emigranten im Universitätsdienst besuchte Lokal am Ufer des Goldenen Horns. Er fand, nach ziellosem Auf und Ab durch die engen Altstadtgassen, endlich ein kleines, fast leeres Café.
    Dass er dann doch vom Nachbartisch die deutsche Sprache vernahm, missfiel ihm anfangs. Abschätzig betrachtete Malinowski den Mittvierziger. Wieder einer dieser Emigranten, dachte er mit heftiger Abneigung vor allem gegen sich selbst.
    Die Frau neben dem Fremden fesselte allerdings seine Aufmerksamkeit. Ihr volles dunkles Haar war auf eine anrührende Weise von einigen Silbersträhnen durchzogen. Die zärtliche Vertrautheit mit ihrem Begleiter war weder das routinierte Beieinandersein eines seit Langem verheirateten Paares, noch war es das alles ringsum vergessende Zueinanderdrängen Frischverliebter. Diese beiden – mal sie ihm die Hand auf den Unterarm legend, mal er ihr dieWange streichelnd –, die waren in einer Sphäre miteinander verbunden und gleichzeitig doch jeder in einer für sich.
    Das erfüllte Malinowski mit einer gewissen Sehnsucht. Seine Niederlage ließ ihn seine Bedürftigkeit erkennen. Ende fünfzig, unverheiratet, bis vor wenigen Stunden ausgefüllt mit nichts als einer Idee und jahrzehntelanger Arbeit. Seine Hände suchten Halt: die eine im kurzen, schlohweißen Haar, die andere das Weinglas drehend und drehend und …
    Entschuldigen Sie, sagte er plötzlich, Sie kommen aus Deutschland? Erlauben Sie mir eine Einladung? Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir. Bitte.
    Die Angesprochenen blickten sich an. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, er drückte auffordernd ihre Hand. Sie folgte ihm zögernd, als er, den linken Fuß nachziehend, an Malinowskis Tisch trat.
    Kniestübl, Estragon Kniestübl, sagte der Mann.
    Estragon trug noch immer weiße Pullover, jetzt in diesem Moment über die Schultern geworfen mit zusammengeknoteten Ärmeln.
    Malinowski erhob sich: Malinowski, Edvard Malinowski. – Professor Edvard Malinowski.
    Estragon stellte, wir ahnen es schon, dem Professor Siyakuu vor.
    Siyakuu war nicht

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