Der Lavagaenger
er, jedes Wort, jede Berührung, alles, was sie festhalten wollte, würde sie zerplatzen lassen wie eine Seifenblase.
Dann aber öffnete sich diese Sphäre von innen. Schon schien es Hans, als wiederhole die Frau ihre Wassergüsse öfter als nötig. So, als wolle sie mit kindlicher Neugier deren musikalische Wirkung erproben. Ahmad hörte dies wohl, seine Bogenstriche wurden schneller und schneller. Schließlich schlug die Frau mit der flachen Hand in die Schüssel, während sie aus dem Krug das Wasser fließen ließ, ihre Kopfbewegungen warfen ihr Haar nach links und rechts und schließlich nach hinten. Jetzt schlug sie lachend beide Hände so heftig ins Wasser, dass ein kalter Guss Ahmads Nacken traf.
Der sprang auf mit gespielter Wut, so gut gespielt, dass der Tiger irritiert den Kopf hob.
Siyakuu, mein schwarzes Vögelchen, was hast du dem armen Ahmad getan!, jammerte er.
Dann verfiel er in ein weibisches Kichern: O Ahmad, o Ahmad, äffte er, ich habe nur deinen schnöden Schweiß mit dem von mir geheiligten Wasser vermischt.
Oh, du verlogene Alte, setzte Ahmad sein theatralisches Spiel fort, hast du mir nicht erst letzte Nacht geflüstert, mein Schweiß sei auf deinen Lippen wie der Tau des Morgens auf Oleanderblüten.
Gewiss, du mein Dicker, nachts wollte ich dich am Einschlafen hindern. Jetzt aber solltest du endlich aufwachen und Holz schlagen gehen.
Hört ihr, Leute?, sie nennt mich Dicker, dabei ist ihre Suppe so dünn wie die Luft. Meine Rippen dürrer als Reisig. Bald lande ich im Ofen dieser Hexe.
Ahmad beendete seine kleine Vorstellung mit einer tiefen Verbeugung. Die junge Frau, die er Siyakuu genannt hatte, klatschte in die Hände. Auch Hans applaudierte.
Ahmad wandte sich um, blinkerte mit den Augen, rieb sie sich mit den Fäusten und rief:
Ein Gespenst? Nein, kein Gespenst: der Eisenbahnjunge vom Taurus, der deutsche Monsieur! Willkommen! Wo ich Gast bin, sollst auch du willkommen sein, nicht wahr Siyakuu?
Tatsächlich wohnte Ahmad zu der Zeit im Hause des Digrin Nokudian. Digrin Nokudian war Telegrafist der Anatolischen Eisenbahngesellschaft. Obwohl die Gesellschaft ihre Angestellten recht gut bezahlte, war Digrin immer auf der Suche nach einer Beschäftigung, die ihm auch nach Dienstschluss erlaubte, seine Gedanken an etwas anderes zu binden als die Erinnerung an seine noch nicht lange verstorbene Frau. Meist ging er seiner Tochter zur Hand, die das Haus führte und nebenher aus hartem Holz Kämme sägte und polierte. Das war eine mühsame und monotone Arbeit, die seine Tochter tun zu sehen Digrin dauerte und ihm selbst noch viel, zu viel Gedankenraum ließ.
Eines kühlen Märztages endlich war er im Teehaus auf einen Fachmann für Seidenraupenzucht gestoßen. Der behauptete, man könne diese Wundertierchen nicht nur in der Gegend von Alaiye züchten, sondern auch hier im Hochland.
Im Teehaus ist jeder ein Fachmann für das, was gerade besprochen wird. So erntete der Fachmann, zumal sein Äußeres kaum seriös wirkte, von den Männern ungläubigesKopfschütteln und kritische Fragen, die einen Zug ins Hämische nicht verbargen. Nur die gestreifte Raubkatze, die der Fachmann mit sich führte und die ihren breiten Kopf wiederholt von draußen gegen die Fensterscheibe drückte, mag verhindert haben, dass der Widerspruch der anderen Fachmänner heftiger wurde. Am Ende versprach Ahmad, denn er war es, der sich eben selbst als Seidenraupenzüchter erschaffen hatte, er werde sogleich nach Alaiye aufbrechen, um Seidenraupeneier zu besorgen. Digrin zeigte sich als Einziger interessiert genug, den Fachmann mit dem nötigen Kleingeld für den Erwerb der Eier auszustatten.
Ahmad hatte nicht nur Wort gehalten, sondern selbst eine brennende Neugier entwickelt, ob das Experiment gelingen werde. Lange tüftelten Ahmad und Digrin, bis sie darauf verfielen, den künftigen Seidenspendern im Wohnzimmer ein Domizil zu geben. Dort allein konnte es gelingen, die Temperatur nachts über fünfzehn Grad und tagsüber unter dreißig Grad zu halten. Ahmad und Digrin bauten einen Holzrost, breiteten Baumwollflocken darüber, auf welche sie die winzigen gelben Eierchen betteten. Wenigstens zehn Tage sollten sie warten, bis die ersten Raupen schlüpfen würden. Doch Digrin legte schon nach dem dritten Tag Maulbeerblätter auf den Rost. Was sollten die Kleinen denken, wenn sie auf die Welt kämen und nichts zu fressen da wäre?
Dann wieder rief er aufgeregt nach Ahmad: Was ist das? Was ist das? Ahmad, schnell,
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