Der Lavagaenger
wurden zunehmend skeptischer, was Helder lesend missbilligte, als hätte eben diese Skepsis dessen Entdeckung verhindert. Als Cook im Laufe der Nacht mit dem Passat seinem nächsten Ziel, der Passage zwischen Nordpol und Amerika, entgegensegelte, um wieder nicht das zu finden, was er suchte, setzte die Klimaanlage aus. Windstille. Dafür begann sich das Hotel zu beleben. Der Fahrstuhl ächzte und knarrte, Schritte tappten, Schlüssel schnarrten in Schlösser, Türen klappten, von irgendwo her drang ein gellend-ordinäres Frauenlachen durch die Wände, zwei Männer stritten minutenlang auf dem Gang, so dass Helder in Strümpfen zur Zimmertür schlich, um zu testen, ob auch der Schlüssel umgedreht war. Da ihm dies, wie er begriff, nicht geräuschlos gelingen würde, tappte er unverrichteter Dinge zurück in sein Bett. Das ganze Haus vibrierte in einer aggressiv-erotischen Schwüle, bis alles im erneut einsetzenden Dröhnen der Klimaanlage versank und Helder, kurz vor der Entdeckung Hawaiis, in den Schlaf fiel.
Als er erwachte, stand Kapitän Cook, den Dreispitz in den Nacken geschoben, im Zimmer und starrte ihn, wie es schien, ungläubig an. Dann griff Cook nach Helders Rotweinflasche, holte sich mangels anderer Gefäße einen Zahnputzbecher aus dem Bad und schenkte sich ein. Er setzte sich, als müsse er verschnaufen, auf den einzigen Stuhl des Zimmers, prostete Helder zu und trank schweigend. Schließlich erhob er sich ohne ein Wort, deutete eine Verneigung an und öffnete die Tür zum Hotelflur. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um und sagte: tabu. Nur dieses eine Wort:
tabu.
Dann war er verschwunden.
Noch im Flugzeug nach Hawaii war Helders Verstand damit beschäftigt, die Identität seines nächtlichen Besuchers mit dem am Abend vom Hotel abfahrenden krakeelenden Kostümträger nachzuweisen, der, betrunken heimgekommen, sich wahrscheinlich lediglich in der Tür geirrt hatte. Dennoch beunruhigte ihn das einzige von dem nächtlichen Besucher gesprochene Wort. Helder hatte, seit er seinem Großvater nachforschte, das bedrückende Gefühl, sich solch einer verbotenen Zone zu nähern. Um so mehr erschrak er, als er im Nachtrag zu den Cook’schen Tagebüchern lesen musste, dass der Kapitän am schönen Strand von Hawaii von mehreren Messern durchbohrt verstarb. Vermutlich, so hieß es, hatte er ein Tabu verletzt. Aus jenen letzten Seiten des Buches rutschte beim Umblättern eine Postkarte und fiel auf den Boden.
Ein freundlicher, bunt behemdeter Herr kam Helder beim Bücken zuvor und reichte sie ihm lächelnd zurück. Doch als sein Blick neugierig auf die Karte fiel, wandelte sich sein Lächeln in ein verlegen-erschrockenes Grienen.
Ach ja, die Karte. Sie war Helder beim Öffnen der Kommode ins Auge gefallen, und er hatte sie mit dem flüchtigen Gedanken an ein Lesezeichen zwischen die Buchseiten geschoben. Die Vorderseite dieser Karte, sie war alt und vergilbt, zeigte eine Eisenbahnbrücke über einen als Tigris bezeichneten Fluss und den Aufdruck Istanbul–Bagdad – 1940. Die Rückseite war mit unlesbaren Schriftzeichen übersät, die Helder als arabische deutete, lediglich die Adresse nannte in lateinischen Buchstaben deutlich lesbar einen Namen: Hans Kaspar Brügg.
Nebenan flüsterte das Bunthemd mit der Stewardess, die Helder misstrauisch, aber betont beiläufig musterte, bevor sie im Cockpit verschwand. Kurze Zeit darauf erschien ein stämmiger Flugbegleiter und nahm den freien Platz hinter ihm ein. Helder ahnte, wessen, von den arabischen Zeichen ausgelöst, man ihn verdächtigte. Er wagtenicht, sich zu rühren, geschweige denn seinem Bedürfnis zu folgen, die Toilette aufzusuchen.
Auf dem Flugfeld in Honolulu geriet er in einen Trupp kurzhosiger Urlauber, und eine üppige Inselschönheit hängte ihm mild lächelnd einen Kranz aus bunten Plastikblumen um den Hals. Als neben ihm eine dürre Deutsche, die unbekränzt geblieben war, enttäuscht zu zetern begann, erkannte die Touristenbegrüßerin ihren Irrtum, nahm ihm mit einem Lächeln, das um Nachsicht bat, den Kranz wieder ab und legte ihn der nun glücklich strahlenden Urlauberin um den dünnen Hals.
Im selben Moment fanden sich zur Rechten Helders und zu seiner Linken je ein Sicherheitsbeamter ein, die ihn baten, sie doch bitte zu begleiten. Sie bekräftigten ihre Bitte dadurch, dass sie Helders Handgelenke mit Handschellen versahen, woraufhin sie ihn in einen neonkahlen, fensterlosen Raum führten. Erst nachdem man ihn, sein
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