Der Lavagaenger
wäre zu einer handfesten Keilerei gekommen, wäre in diesem Moment nicht der Korporal aufgetaucht.
Als ich am Morgen des nächsten Tages einer notwendigen Verrichtung wegen die Latrine aufsuchte, fand ich dort den Bürstenfabrikanten. Er lag mit dem Gesicht nach unten in der Grube. Man hatte offenbar schon ein paar Schaufeln Kalk über ihn geworfen. Ich alarmierte Hans, und gemeinsam zogen wir ihn heraus. Zu spät, er war tot.
Ist es das wert?, fragte Hans.
Ich knurrte ihn an, denn ich wusste sofort, was er meinte. Abends lag ich lange wach. Ich war achtzehn und noch nie mit einem Mädchen zusammen gewesen. Aber ich hatte einen Menschen auf dem Gewissen. Nein, nicht ich hatte den Bayern erschlagen. Doch ich hatte zugelassen, dass es so weit kommen konnte. Mir fiel, leider zu spät, der Lieblingsphilosoph meiner Mutter ein:
Alles muss scheitern ohne die Liebe.
An diesem Abend zeigte mir Hans Kaspar, wie man den Tanz der Derwische tanzt.
Komm her, sagte Mo und bedeutete Helder aufzustehen. Stell dich hier hin und schließ deine Augen. Dann nimm die Arme hoch, als trügest du einen Säugling. Und jetzt – zumindest mit einiger Übung – kannst du das Kind in deiner Mitte spüren. Halte es, trage es zärtlich und fest. So. Und jetzt öffne die Arme, als seiest du eine Blüte, die sich am Morgen öffnet. – Na, ja, so ungefähr … Nun, drehen und drehen … immer auf der Stelle. Auf der Stelle, sag ich!
Nun, gut, setzten wir uns. – Hans hatte damals einen Nagel in den Barackenboden geschlagen, ich musste ihn barfuß zwischen den großen und den nächsten Zeh nehmen.
Die Ermittlungen des Kommandanten ergaben, dass es am späten Abend im Café erneut Streit mit dem Bayern gegeben hatte. Er hatte seinen Rosinenwein statt mit einem Gutschein mit Geld bezahlen wollen. Nachts sei er unter einem Vorwand aus der Baracke gelockt und verprügelt worden. Dabei sei er – unglücklicherweise, beteuerten die Vernommenen – mit dem Hinterkopf gegen eine Treppenstufe gestürzt.
Unfall, schrieb der Kommandant ins Protokoll. Doch einige murrten und forderten eine gerichtliche Untersuchung. Ich bin hier der Richter, sagte der Kommandant. Als Zeichen seines guten Willens setzte er die neue Lagerordnung außer Kraft. Und mit den alten Regeln kehrte in den Baracken langsam wieder Ruhe ein. Bald darauf konnten wir das Lager verlassen.
Da siehst du uns, sagte Mo und zog ein weiteres Foto hervor, in der Uniform der Achten Australischen Arbeitskompanie. Was sollten wir tun? Weder Einwanderungsnoch Arbeitserlaubnis geschweige Geld und Gelegenheit für eine Überfahrt zurück nach Europa. Um nicht sinnlos rumzuhängen, meldeten wir uns bei der Achten und erledigten Hilfsarbeiten für die Army.
Dann eines Tages kam für mich eine Nachricht aus Kalifornien. Meinen Eltern war die Flucht über den großen Teich gelungen. Ich wollte unbedingt nach Amerika. Auch Hans Kaspar hatte es satt, Zementsäcke zu schleppen und Säurekessel zu schrubben. Es dauerte noch ein Dreivierteljahr, der Krieg war inzwischen zu Ende, da gelang es uns, auf einem Kahn anzuheuern. Das Schiff war neu. Blendend weiß wie der junge Frieden lag es am Kai. Man hatte es, dem verstorbenen amerikanischen Präsidenten zu Ehren,
Roosevelt
getauft. Der Reeder versprach sich eingutes Geschäft mit seiner Australien-Amerika-Linie. Vorerst aber waren nur ein paar Geschäftsreisende und ansonsten etliche im Krieg verwundete Amerikaner an Bord, die endlich nach Hause wollten.
Es war eine angenehme Reise. Das Meer war still und schien wie wir die Freiheit zu genießen. Ich arbeitete in der Schiffsküche, und Hans mimte den Stewart. Da nur wenig Passagiere an Bord waren, hielt sich die Arbeit in Grenzen. Oft saßen wir an Deck, spielten Karten oder sahen den Delphinen zu. Eines Tages zog von Süden eine dunkle Gewitterfront auf. Am späten Abend hatte sie uns erreicht. Aber nicht dieses Unwetter sollte für das Schiff zu einem Problem werden, sondern eine Seemine, die sich um das Kriegsende nicht scherte. Gegen Mitternacht mogelt sie ihre Explosion zwischen das Krachen der Blitze.
Wir saßen schon im Rettungsboot. Es war stockfinster. Nur die Handlampe des Obermaats warf ihren schwachen Schein in die wogende See. Plötzlich sah ich Hans wieder an der Leiter. Er habe seine Schuhe vergessen, rief er und kletterte noch einmal an Bord. Schneller, als wir dachten, neigte sich das Schiff auf die Seite. Obwohl ich drängte, doch auf Hans zu warten, befahl der Obermaat, schleunigst
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