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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Stimme deines Herzens!
    In diesem Moment erklang der Ruf eines Falken. Neugierig und gleichzeitig erschrocken, sich mitten in dieser Zeremonie unterbrechen zu lassen, öffnete David die Augen und wandte seinen Blick nach oben. Da landete eben auf einem der das Tal umschließenden Felsen tatsächlich ein Falke.
    Du wirst, sagte der Alte, der Davids Beobachtung teilte, eines Tages im Palast des Himmlischen Falken wohnen. Er sagte das so daher, als mache er eine Mitteilung über kommenden Regen.
    Davids Herz schlug bis zum Hals, der ’Iolani-Palast, dort wohnte der König. In David war mehr Schrecken als Freude. Was, wenn sich die Worte des Kahuna so sicher erfüllten, wie der Nordostwind Regen bringt?
    Du wirst, sagte der Alte, als höre er die einander jagenden Worte hinter Davids Stirn, Hawaii den Hawaiianern zurückgeben! – Die Weißen sind wie die Lava, welche die Hänge hinabströmt und alles Leben verschlingt. Sie nehmen unsere Taro-Felder und machen daraus Plantagen für Zucker. Sie graben den Sand aus den heiligen Hügeln, umdamit ihre Kirchen zu bauen. Die Gebeine unserer Ahnen, die dort bestattet sind, werfen sie zu ihren Abfällen. Sie haben den Hula verboten. Unsere Tempel verfallen. Sie geben uns dafür ihre Krankheiten, ihren Schnaps und einen Gott, der die Kranken tröstet, aber nicht heilt. Sie gehen mit gesenkten Köpfen einher: Tut Buße, tut Buße! Sie kommen und teilen, was ganz war. Sie teilen alles in hoch, höher und niedrig. Niedrig sind die Tiere und wir. So haben sie sich auch selber geteilt, in Kopf und Herz und Leib. Von unheilen Menschen kann Unheil nur kommen!
    David, rundlich und freundlich, liebte keine Keilereien, wie sollte er den Krieg lieben? Und das, was der Kahuna sagte, mochte wahr sein, doch es klang nach Krieg.
    Kamehameha, der erste König Hawaiis, hatte, um die Inseln zu einen, die feindlichen Häuptlinge eingeladen und sie dann getötet. Alle Weißen einzuladen und zu töten, war unmöglich. Dennoch, sei es, um sich selbst zu ermutigen, sei es, um den Alten nicht zu enttäuschen, griff David eine herumstehende Kalebasse und schwang sie wie eine Keule.
    Als der Alte lachte, stellte David seine Waffe verlegen beiseite. Dann wurde der Kahuna ernst. Wofür willst du kämpfen? Kennst du die Geschichten deines Volkes? Weißt du von den Taten deiner Ahnen? Wie willst du wissen, wohin, wenn du nicht weißt, woher?
    Jahre später begann David Kalākaua die Geschichten zu sammeln, welche die alten Leute in den Dörfern zu erzählen wussten. Kalākaua liebte die alten Geschichten Hawaiis. Und er liebte dieses neuartige Instrument, das portugiesische Einwanderer mitbrachten. Bald verstand er, die kleine, von den Hawaiianern Ukulele genannte Gitarre zu spielen.
    Einer seiner Parteigänger machte aus Kalākauas laienhaften Beschäftigungen während des Wahlkampfes ein politisches Programm: Das Heute umarme das Gestern, posaunte er, damit das Morgen geboren wird.
    Als Kalākaua schließlich zum König gewählt worden war, schickte er Kuriere auf alle Inseln des Archipels, um die letzten Hulameister, die Lehrer des seit Jahrzehnten verbotenen Tanzes, zu finden. Dies geschah gegen das Grollen der Calvinisten, die, weil nur dies ihren Vorstellungen entsprach, diesen Tanz für unzüchtig hielten. Mit jeder Bewegung der Hände erzählten die Tänzerinnen und Tänzer von Göttern und Menschen, von Pflanzen und Fischen, Arbeit und Liebe. Die Natur, auch die eigene, war in diesen Geschichten noch nicht das Fremde. Die Weißen jedoch lasen darin, ihren Blick auf wackelnde Hinterteile fixiert, nur das eine Wort: Sünde.
    Ach, dachte Kalākaua, manchen Predigern der christlichen Liebe fehlt nichts mehr als die Liebe, nichts mehr als
Aloha
: Mitgefühl, Verständnis, Respekt.
    Einer der Tänze erzählte von einem Kipuka, einem kleinen Hügel inmitten eines glühenden Lavastroms. Als die Lava erkaltet, ist ringsum alles erstarrte Einöde. Doch der kleine Hügel grünt und blüht. Vögel und Wind verteilen ringsum die Samen. Eines Tages entrollt auch dort über dem schwarzen Gestein ein erster Farn seine Blätter. Ihm folgen mehr und mehr Pflanzen, bis schließlich der Hügel inmitten eines blühenden Waldes verschwunden ist. Durch den Wald geht ein junges Mädchen, sammelt Blüten für eine Kette und singt das Lied vom Kipuka.
     
    Die tiefroten Vorhänge in König Kalākauas Hotelzimmer wurden von der Morgensonne durchstrahlt. Eine glühende Flut ergoss sich ins Zimmer. Was wird sein, dachte

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