Der Lavendelgarten
Ich stehe nicht zum ersten Mal wie ein Narr da, obwohl du der Verräter bist. Sieh dich vor, großer Bruder. Die anderen kannst du mit deinen klugen Worten und Ideen täuschen, aber ich kenne dich.«
»Dann, Bruder, musst du sagen, was du weißt. Ich verabschiede mich jetzt von dir. Wir sehen uns bestimmt bald wieder.«
Wie immer brachte Frederiks Gelassenheit Falk in Rage. »Du mit deinen Auszeichnungen und Abschlüssen und Plänen für den Führer hältst dich für was Besseres. Aber ich bin loyal.«
An der Tür drehte Frederik sich um.
»Ich halte mich nicht für überlegen, Bruder, du hältst dich für unterlegen.«
»Ich finde sie!«, rief Falk ihm nach, als er den Raum verließ. »Und diese Nutte, die dir den Kopf verdreht hat!«
»Auf Wiedersehen, Falk«, seufzte Frederik, als er in den Aufzug stieg.
In seinem Zorn schlug Falk mit der Faust gegen die Tür des Büros.
Édouard erwachte in der Dunkelheit aus fiebrigem Schlaf und griff nach den Streichhölzern, die er mitgenommen hatte. Er zündete eines an, um einen Blick auf seine Uhr zu werfen, und sah, dass es nach drei war. – Fünf Stunden, seit er die Deutschen im Haus über ihm gehört hatte. Als er seine steifen Glieder streckte, berührten seine Füße die Wand.
Dieser winzige Ziegelhohlraum unter dem Boden, nur durch eine Falltür im Keller zu erreichen, war in der Französischen Revolution als Versteck für seine Vorfahren ausgehoben worden und bot nur für einen oder zwei Menschen Platz. – Obwohl angeblich an einem Abend, als Paris brannte und Aristokraten zu Dutzenden in offenen Wagen zur Guillotine gekarrt wurden, Arnaud de la Martinières, seine Frau und zwei Kinder hier Schutz gefunden hatten.
Édouard ging in die Hocke, entfachte ein weiteres Zündholz und versuchte, die Falltür über ihm zu ertasten. Als er sie gefunden hatte, stemmte er sich mit letzter Kraft dagegen, um sie zu öffnen.
Nachdem er sich aus dem Hohlraum in den Keller gehievt hatte, blieb er kurz vor Schmerzen keuchend auf dem feuchten Steinboden liegen, bevor er sich zu dem Schrank schleppte, in dem Flaschen mit Wasser für Fliegeralarmnächte aufbewahrt wurden, und in großen Schlucken aus einer trank. Als er, gleichzeitig zitternd und schwitzend, seine Schulter begutachtete, stellte er fest, dass gelbliche Wundflüssigkeit durch sein Hemd sickerte. Die Wunde war infiziert; er brauchte dringend einen Arzt. Doch er konnte keinen rufen, weil er wusste, dass die Deutschen das Haus beobachteten. Er saß in der Falle.
Édouard dachte an seine Schwester und betete, dass sie, Sarah und Connie der Gefahr entronnen waren.
Die raue, rissige Kellerdecke verschwamm vor seinen Augen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu schlafen.
Connie war froh, dass Sarah die Führung übernommen hatte. Als sie im Erste-Klasse-Abteil saßen, schloss sie die Augen, um die Gesichter der beiden deutschen Offiziere ihnen gegenüber nicht mehr sehen zu müssen. Sarah hingegen unterhielt sich höflich mit ihnen. Sophia starrte, während sie durch die Industriegebiete rund um Paris in Richtung Süden fuhren, blind aus dem Fenster. Was machte es schon, ob man lebte oder starb?, dachte Connie, an deren Seele und Körper Falk sich vergangen hatte.
Wie sollte sie Lawrence je wieder in die Augen sehen können? Und wofür das Ganze? Sie hatte sich geopfert, um Édouard diese Nacht der Ruhe zu ermöglichen, in der er Pläne für die Flucht schmieden konnte. Doch Édouard war nach wie vor in Paris, allein und verletzt. Vielleicht befand er sich schon in Falks Fängen, im Hauptquartier der Gestapo.
»Ich habe es versucht, Édouard«, dachte sie.
Connie döste erschöpft vor sich hin, während der Zug durch das flache französische Land ratterte. Bei jedem Halt spürte sie, wie Sarah neben ihr nervös Ausschau hielt nach Gestapo-Leuten, die möglicherweise über ihre Flucht nach Süden unterrichtet waren. Die ihnen gegenüber sitzenden deutschen Offiziere stiegen in Le Mans aus. Obwohl sie nun im Abteil allein waren, sprach Sarah nur im Flüsterton mit ihren Schützlingen.
»Wir steigen in Amiens aus und bleiben bei meiner Schwester, die ganz in der Nähe wohnt. Dort beschaffen wir uns neue Ausweispapiere. Édouard hat gestern Abend in die Wege geleitet, dass wir von einem Freund abgeholt werden, der uns über die Vichy-Linie bringt. Es wäre zu riskant, sie an einem offiziellen Kontrollpunkt zu überqueren. Oberst Falk hat inzwischen bestimmt Alarm geschlagen; man wird nach uns suchen.«
Sophia
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