Der Lavendelgarten
herauszubringen. Aber weil wir erst mal noch hier festsitzen, gehe ich jetzt rauf, hole mir ein neues Buch und mache einen Abstecher zum Klo. Irgendwann könnten Sie auch dran denken, sich zu waschen.« Venetia rümpfte die Nase. »Fürchte, das kann ich Ihnen nicht abnehmen. Brauchen Sie irgendwas, Édouard?«
»Nein, danke, Venetia. Passen Sie da oben auf«, rief er ihr nach, als sie die Treppe zum Haus hinaufstieg.
»Keine Sorge«, rief sie zurück.
Édouard sank erschöpft zurück und dankte seinem Schöpfer dafür, dass diese außergewöhnliche Frau in sein Leben getreten war und ihn gerettet hatte.
24
Am folgenden Morgen verkündete Sarah, dass sie fürs Erste an Ort und Stelle bleiben würden.
»Wir müssen auf die nächste Möglichkeit, den Fluss zu überqueren, warten«, erklärte sie Connie beim Frühstück. »Madame Constance, Ihre neuen Papiere werden Sie als Haushälterin aus der Provence ausweisen. Hätten Sie gern einen bestimmten Namen?«
»Hélène Latour?«, schlug Connie vor, die an eine Nachbarstochter dachte, mit der sie als Kind am Strand von St. Raphaël gespielt hatte.
»Sophia ist Ihre Schwester Claudine. Natürlich …«, Sarah senkte die Stimme, »… muss sie sich verbergen, sobald wir unseren Bestimmungsort erreichen. Es gibt in der Gegend zu viele Leute, die sie erkennen würden.«
»Dort suchen die Deutschen doch bestimmt als Erstes nach uns«, entgegnete Connie. »Falk weiß von dem Château.«
»Édouard sagt, darin gibt es ein sicheres Versteck für Sophia. Natürlich wäre es besser, wenn wir alle das Land sofort verlassen könnten, aber für Sophia mit ihrer Behinderung wäre die Flucht viel zu beschwerlich. Im Château sind wir immerhin unabhängig. Heutzutage sind ja nicht einmal mehr Safe Houses sicher. Die Gestapo zahlt viel Geld für Hinweise auf Nachbarn, die Leute wie uns bei sich unterbringen. Für den Fall, dass sie uns tatsächlich einen Besuch abstatten, möchte ich Ihr und mein Aussehen dem auf den Fotos in unseren Papieren angleichen.« Sarah zückte eine Flasche mit Bleichmittel auf Wasserstoffperoxidbasis. »Ist das für Sie ein Problem?«, fragte sie schmunzelnd, als sie Connies Gesichtsausdruck sah. »Ich muss mir die Haare rot färben! Und mit Mademoiselle Sophias Kleidung müssen wir uns auch etwas einfallen lassen. Sie ist viel zu fein.«
Connie sah sie verwundert an. »Sarah, Sie sind ja ein richtiger Profi. Wo haben Sie das alles gelernt?«
»Mein Mann war zwei Jahre lang bei den Maquisards, bis die Gestapo ihn erwischt und erschossen hat. Außerdem habe ich dem Comte in vielen gefährlichen Missionen beigestanden. Man lernt schnell, wenn man muss.« Sarah deutete auf die Latrine hinter dem Haus, in der sich ein kleines Waschbecken befand. »Bevor Sie das Bleichmittel anwenden können, müssen Sie die Haare nass machen.«
Connie war beeindruckt, wie viel professioneller Sarah, eine einfache Bedienstete, mit der Situation umging als sie selbst mit ihrer intensiven Ausbildung.
Zwei Tage später, als Connie auf der Straße die dritte deutsche Patrouille in ebenso vielen Stunden gesehen hatte, verkündete Sarah, dass sie in der Nacht aufbrechen würden.
»Ich darf meine Schwester nicht länger in Gefahr bringen«, sagte sie. »Wir haben unsere neuen Ausweise und ziehen weiter. Es ist alles für heute Abend organisiert.«
»Gut.« Connie schaute zu Sophia, die teilnahmslos und in Gedanken versunken am Küchentisch saß, und drückte ihre Hand.
»Heute Abend brechen wir auf, dann bist du bald im Château, von dem du mir so oft erzählt hast«, tröstete sie sie.
Sophia nickte betrübt. Sie trug Bauernkleidung und eine dicke beigefarbene Wolljacke, die sie besonders blass wirken ließ. Seit ihrer Ankunft hatte Connie sie kaum etwas essen gesehen und sie mehr als einmal zur Außentoilette begleitet, weil sie sich übergeben musste. Connie, die wusste, dass ihnen hinter der Vichy-Linie noch eine lange beschwerliche Reise bevorstand, konnte nur beten, dass Sophia die Strapazen überstand.
Um zehn Uhr abends stiegen Connie, Sarah, Sophia und sechs andere, die am Ufer der Saône warteten, in ein flaches Boot. Connie kletterte als Erste hinein, so dass sie Sophia helfen konnte. Das Boot legte in tiefer Dunkelheit und völligem Schweigen vom Ufer ab, und genauso schweigend stiegen die Passagiere am anderen Ufer aus, um über ein gefrorenes Feld in die Nacht zu verschwinden.
»Nehmen Sie Sophias eine Hand, dann nehme ich die andere«, wies Sarah Connie
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