Der Lavendelgarten
Sebastian ohne Eltern aufgewachsen sind. Obwohl ich mir als Kind manchmal vorgestellt habe, adoptiert zu sein. Dann konnte ich mir einreden, dass meine richtige Mutter mich geliebt oder zumindest ein wenig gemocht hat. Ich war sehr einsam, obwohl ich in wunderschönen Häusern mit jedem nur erdenklichen Luxus gelebt habe.«
»Die meisten Menschen wünschen sich das, was sie nicht haben können«, bemerkte Alex nüchtern. »Der Tag, an dem man aufwacht und erkennt, dass das ein völlig sinnloser Wunsch ist, und sich bewusst wird, was man tatsächlich hat, beginnt man, den Pfad zu relativer Zufriedenheit zu beschreiten. Das Leben ist eine große Lotterie; die Würfel sind gefallen, und wir müssen das Beste aus dem machen, was wir haben.«
»Sie waren in Therapie?«, fragte Emilie.
»Natürlich.« Alex grinste. »Wer nicht?«
»Ich.« Sie lächelte.
»Gute Entscheidung«, lautete Alex’ Kommentar. »Irgendwann ist mir bewusst geworden, dass ich auch danach süchtig wurde, und ich habe damit aufgehört. In solchen Sitzungen wird einem erklärt, warum man so chaotisch ist, dass jemand anders daran schuld ist – eine prima Entschuldigung, sich so schrecklich aufzuführen, wie man will. Ein Psychotherapeut hat mir mal gesagt, ich hätte ein Recht auf meine Wut. Also habe ich sie ein Jahr lang ausgelebt. War toll …«, er seufzte, »… bis mir klar wurde, dass ich damit alle Menschen, die mir wichtig waren, vergrault habe.«
»Ich bin nie aus der Haut gefahren«, gestand Emilie.
»Die Ohrfeige neulich in der Küche war nicht von schlechten Eltern«, erinnerte Alex sie mit einem spöttischen Grinsen.
Emilie wurde rot. »Stimmt.«
»Sorry. Ich wollte nur sagen, dass ein Wutausbruch gelegentlich sehr befreiend sein kann. Aber so was sollte sich nicht zu einem dauerhaften Zustand auswachsen, wie es bei mir der Fall war. Ach, die Menschen …« Alex schüttelte den Kopf. »Was sind wir doch kompliziert.«
»Sie scheinen sich selbst sehr gut zu kennen.«
»Ja, und mir ist klar, dass ich nie aufhören werde, mich selbst zu überraschen. Ich habe mich von einem aggressiven Drogensüchtigen in einen organisierten Kontrollfreak verwandelt, der aus der Fassung gerät, wenn er in seinen Gewohnheiten gestört wird. Vielleicht ist das für mich die einzige Möglichkeit zurechtzukommen. Ich kann nur mich selbst kontrollieren. Und ich will nicht riskieren, wieder in die Sucht zu geraten.«
»Ich muss Ihre Disziplin bewundern«, sagte Emilie. »Alex, darf ich fragen, ob es jemals einen Menschen gegeben hat, dem Sie sich nahe gefühlt haben?«
»Eine Frau, meinen Sie?«
»Ja.«
»Es gibt zahllose Frauen, denen ich körperlich ›nahe‹ gewesen bin, aber ich habe es mit keiner lange ausgehalten. Leider muss ich gestehen, dass ich bisher nie in der Lage war, eine feste Beziehung mit jemandem zu führen.«
»Hätten Sie jetzt gern eine?«
»Mit der richtigen Person, ja. Sogar sehr gern.«
»Nun, vielleicht begegnen Sie ihr eines Tages.«
»Möglich.« Alex sah auf seine Uhr. »Nun muss ich leider so unhöflich sein, Sie rauszuwerfen, weil ich mich meinen Ölaktien widmen muss. Es ist nach Mitternacht, in Asien beginnt der Börsenhandel.«
»Ich habe gar nicht gemerkt, dass es schon so spät ist.« Emilie stand auf. »Danke für die Gesellschaft und das Essen.«
»Es war mir ein Vergnügen, Em.«
»Ich bringe Jo, die Putzhilfe, morgen zu Ihnen.« Emilie blieb an der Tür stehen. »Alex, ich wünschte, Sebastian könnte Sie so sehen.«
»Mein Bruder sieht mich so, wie er will. Und ich reagiere entsprechend. Gute Nacht, Em.«
»Gute Nacht.«
Als Emilie zwanzig Minuten später im Bett lag, dachte sie über den Abend mit Alex nach.
Sie war in seiner Gesellschaft sehr entspannt gewesen, vermutlich deswegen, weil ihr Verhältnis zu ihm nicht mit den Komplexitäten einer Beziehung belastet war. Trotzdem hätte es Sebastian bestimmt nicht gefallen, dass sie so gut miteinander auskamen.
Emilie seufzte. Wenn die Brüder doch nur endlich die Vergangenheit vergeben und vergessen könnten!, dachte sie. Dann wäre das Leben in Blackmoor Hall so viel angenehmer.
19
Am Ende der Woche kam Sebastian erschöpft nach Hause. Als Emilie beim Abendessen mit ihm zu reden versuchte, blieb er distanziert. Später im Bett fragte sie ihn, ob es Probleme gebe.
»Sorry, im Moment ist alles ein bisschen schwierig.«
»Im Geschäft?«, hakte Emilie nach.
»Ja. Ich habe gerade festgestellt, dass die verdammte Bank Überweisungen nicht
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