Der Lavendelgarten
ursprünglichen Platz zurückstellen.«
»Gut«, sagte Emilie, die froh war, dass die Leute kompetent wirkten und vorsichtig mit den Büchern umgingen. Zu ihrem Erstaunen entdeckte sie mitten in dem Chaos Margaux’ Sohn Anton, der auf dem Boden saß und trotz der Unruhe in ein Buch vertieft war.
»Hallo, Anton«, begrüßte sie ihn.
Der Junge hob erschrocken den Kopf.
»Madame de la Martinières, tut mir leid, meine Mutter hat mir gesagt, ich soll helfen, aber dann war da dieses Buch …«
Emilie warf einen Blick darauf. Es handelte sich um eine alte Ausgabe von Victor Hugos Die Elenden , ein Werk, das sie selbst als Kind in dieser Bibliothek gelesen hatte. Ein wenig erinnerte Anton Emilie an eine Figur aus der Geschichte.
»Lies ruhig weiter.« Emilie legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Magst du Bücher?«
»Ja, sehr. Hier gefällt’s mir. Wenn meine Mutter mich ins Château mitnimmt, sehe ich mir immer in der Bibliothek die Bücher an. Aber ich schwöre Ihnen, Madame, dass ich nie zuvor eines in die Hand genommen habe«, fügte er hastig hinzu.
»Lies das hier zu Hause zu Ende«, schlug Emilie vor. »Ich bin sicher, dass du sorgsam damit umgehst.«
»Wirklich?« Anton strahlte. »Danke, Madame.«
»Bitte sag Emilie zu mir.«
»Anton! Du treibst doch hoffentlich keinen Unfug, oder?«
Margaux, die den Tee in die Bibliothek brachte, wirkte besorgt.
»Aber nein.« Emilie nahm Margaux den Tee ab. »Er ist wie Papa und ich ein Bücherwurm. Offenbar ein ziemlich intelligenter«, fügte sie schmunzelnd hinzu. »Er liest Die Elenden – harte Kost für ein Kind.«
»Ja!« Margaux’ Augen glänzten vor Stolz. »Er ist der Beste in seiner Klasse und will später mal an einer großen Universität Literatur studieren. Wie lange haben Sie vor zu bleiben, Madame? Im Haus sind nur noch die Möbel aus dem Zimmer da, in dem Sie immer schlafen. Wie Sie wissen, haben Jean und Jacques Ihnen eine Übernachtungsmöglichkeit bei sich angeboten.«
»Ja, aber ich werde diese Nacht hier verbringen. Das Bett und der Schrank in meinem Zimmer sind wertlos und kommen am Ende auf den Sperrmüll. Zu Jean und Jacques gehe ich morgen Abend. Sie sind einfach wunderbar, Margaux, danke«, sagte Emilie, als sie die Bibliothek verließen und die ausgeräumte Küche betraten.
»Ich habe Teller, Messer und Gabeln und einen Wasserkocher für Sie hiergelassen«, teilte Margaux ihr mit. »Den Kühlschrank haben sie auch nicht mitgenommen – er ist ziemlich alt. Vielleicht wollen Sie ohnehin einen neuen?«
Plötzlich wurde Emilie das Ausmaß des Unterfangens bewusst, das ihr bisher mit Sebastians Hilfe bewältigbar erschienen war.
»Ja, gute Idee«, pflichtete Emilie ihr bei. »Morgen früh kommen der Architekt und der Bauleiter.«
»Wie lange, glauben Sie, wird alles dauern, Madame?«
Margaux wirkte erschöpft.
»Keine Ahnung. Vielleicht ein Jahr? Oder achtzehn Monate?«
»Verstehe. Es ist nur … tut mir leid, Madame, wenn ich Sie darauf anspreche, aber wahrscheinlich werde ich mich in der Zwischenzeit nach einer anderen Beschäftigung umsehen müssen, oder? Hier gibt es ja nichts mehr, worum ich mich kümmern könnte.«
»Margaux«, sagte Emilie mit schlechtem Gewissen darüber, dass sie über dieses Thema nicht schon früher mit ihr gesprochen hatte, »Sie arbeiten jetzt seit über fünfzehn Jahren für unsere Familie. Natürlich zahle ich Ihnen während der Renovierung des Châteaus weiter den Lohn. Sie können ein Auge auf die Arbeiter und das Haus haben, wenn ich in England bin, und mich informieren, falls es Probleme gibt.«
»Madame, das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich nehme Ihr Angebot gern an«, erklärte Margaux, sichtlich erleichtert. »Wenn ich auf meinen Lohn verzichten könnte, würde ich das tun, aber Sie wissen, dass ich nicht reich bin. Ich muss für Antons Ausbildung sparen.« Plötzlich nahmen Margaux’ Augen einen traurigen Ausdruck an. »Manchmal frage ich mich, was wird, wenn ich nicht mehr da bin.«
»Sie sind hier, Margaux«, tröstete Emilie sie mit einem Lächeln. »Bitte machen Sie sich keine Gedanken. Die Zeit der Untätigkeit jetzt werden Sie mehr als wettmachen, wenn die Renovierung abgeschlossen ist und der Schmutz beseitigt werden muss.«
»Ich bewundere Sie. Ihre Eltern wären sehr stolz auf Sie«, sagte Margaux mit feuchten Augen. »So wird das Haus für Frankreich und Ihre Kinder und Kindeskinder bewahrt. Das Essen, das ich für Sie vorbereitet habe, brauchen Sie nur noch aufzuwärmen.
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