Der Lavendelgarten
einzulassen. Allmählich bekam Emilie das Gefühl, dass es über ihren Mann viel mehr zu erfahren gab, als Alex ihr verriet. Sie ließ den Motor an und fuhr die letzten hundert Meter bis zu Jeans Hütte, wo sie den Wagen abstellte.
Emilie ließ ihre Sachen im Kofferraum und klopfte an der Tür zur cave , weil sie wusste, dass Jean oft noch spät arbeitete. Und tatsächlich: Er saß mit seinen Kladden am Tisch.
Jean begrüßte sie mit einem Lächeln. »Emilie! Herzlich willkommen.« Er erhob sich, ging um den Tisch herum und küsste sie auf beide Wangen. »Schön, dass Sie hier sind. Zimmer und Essen sind vorbereitet. Sie sind bestimmt müde.«
»Danke, dass ich hier schlafen darf, Jean. Wo ist Jacques?« Emilie schaute zu der großen Bank im hinteren Teil des Weinkellers, wo Jacques immer die Flaschen einwickelte.
»Ich habe Papa ins Haus geschickt, damit er den Kamin anmacht. Heute Nacht ist es hier drin kalt. Ich möchte nicht, dass er sich erkältet. Er ist nicht mehr der Jüngste und war diesen Winter schon ziemlich oft krank.« Jean seufzte. »Ist im Château alles vorbereitet?«
»Ja, es wird ein völliger Neuanfang.«
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich Papa und ich sind, dass das Château in der Familie de la Martinières bleibt. Dadurch ist nicht nur unser Lebensunterhalt gesichert, sondern auch das Zuhause, das mein Vater und ich so sehr lieben. Papa hätte es wahrscheinlich nicht überlebt, wenn er hätte gehen müssen«, erklärte Jean. »Aber setzen wir uns doch drüben an den Kamin und trinken ein Glas Wein. Der Rosé ist dieses Jahr besonders gut, weil das Wetter in der vergangenen Saison ideal war. Bald werde ich erfahren, ob ich im Winzerwettbewerb eine Auszeichnung für den Rosé bekomme. Es wäre das erste Mal, ich mache mir Hoffnungen.«
Emilie half Jean, die Lichter in der cave auszuschalten, bevor sie hinübergingen. Als Jean die Tür zur Küche öffnete, stieg ihnen köstlicher Essensgeruch in die Nase.
»Kommen Sie ins Wohnzimmer. Mein Vater hat bestimmt den Wein entkorkt«, sagte Jean.
Jacques döste in seinem Sessel vor dem Kamin. Nun bemerkte auch Emilie, für die Jeans Vater immer schon sehr alt gewesen war, seinen Verfall. Sie wandte sich Jean zu. »Sollen wir in die Küche gehen und ihn schlafen lassen?«, flüsterte sie.
»Nicht nötig.« Er grinste. »Er ist stocktaub. Setzen Sie sich, Emilie.« Er deutete auf einen Stuhl und nahm die geöffnete Flasche Wein vom Tisch. »Den müssen Sie probieren.«
Emilie nahm das Glas, das er ihr reichte, schwenkte die hellrosafarbene Flüssigkeit darin und erfreute sich an dem üppigen Bouquet.
»Er riecht verführerisch, Jean.«
»Ich habe diesmal mehr Syrah dazugegeben als sonst, und ich glaube, die Mischung ist gut gelungen.«
Emilie trank einen Schluck. »Toll.«
»In der Gegend herrscht starker Wettbewerb, weil alle in neue Technologien investieren. Ich bemühe mich redlich, Schritt zu halten.« Jean zuckte mit den Achseln. »Aber genug vom Geschäft, darüber können wir später reden. Wie läuft’s in England? Und in der Ehe?«
Nirgendwo sonst war für Emilie die merkwürdig angespannte, kalte Atmosphäre von Blackmoor Hall so weit weg wie in Jeans behaglichem Häuschen.
»Gut, obwohl ich Zeit brauche, mich an England zu gewöhnen. Sebastian war nicht immer da, weil er beruflich viel um die Ohren hat«, antwortete sie ehrlich.
»Ich weiß, dass er viel unterwegs ist. Letzte Woche habe ich abends einen mir unbekannten Wagen beim Château gesehen und in meiner inoffiziellen Funktion als Sicherheitsdienst, wenn Margaux Feierabend hat, nachgeschaut. Es war Ihr Mann.«
»Ach. Sebastian war letzte Woche hier?«, fragte Emilie erstaunt.
»Ja. Wussten Sie das nicht?«
»Nur dass er sich geschäftlich hier in der Nähe aufhielt. Vielleicht wollte er nachsehen, wie es mit dem Château vorangeht«, erklärte sie hastig.
»Ja, wahrscheinlich. Ich fürchte, ich habe ihn erschreckt. Als ich das Haus betreten habe, war er in der Bibliothek, umgeben von Bücherstapeln.«
»Ach so! Vermutlich wollte er beim Packen helfen«, sagte Emilie erleichtert.
»Er war zwei Tage lang hier, aber ich wollte ihn nicht mehr stören. Er ist Ihr Mann und besitzt das Recht, sich im Château aufzuhalten, wann immer er will.«
»Ja.« Insgeheim fragte Emilie sich jedoch, warum Sebastian ihr nichts von seinem zweitägigen Aufenthalt im Château erzählt hatte. Wieder bekam sie ein flaues Gefühl im Magen. »Es war nett von ihm, dass er sich
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