Der Leberwurst-Mörder
Jule vorsichtig die Haustür, als ob sie dadurch einen eventuellen weiteren Katzenschaden verhindern könnte. Es ist verdächtig ruhig, und so, wie es aussieht, stehen alle Pflanzen noch immer ordentlich in ihren Töpfen auf dem Fensterbrett. Trotzdem durchquert Jule als Erstes das Wohnzimmer, um sich zu vergewissern, dass die Orchidee nicht angeknabbert ist.
Ich flitze los, um die Katzenkinder aufzuspüren, denn in meinem Körbchen sind sie nicht. Also schnüffele ich weiter durch die Wohnung, suche in allen Ecken, bis ich zur Schlafzimmertür komme, die einen Spaltbreit offen steht. Ich selbst darf zwar in diesen Raum nicht hinein, aber meine Hundenase mal vorsichtig in den Türspalt zu stecken – das hat Jule mir nicht verboten. Kann ich etwas dafür, dass meine Hundeschnauze vorn spitz ist und dann immer breiter wird? Ich glaube nicht, und so lasse ich es einfach geschehen, dass der Türspalt sich immer weiter öffnet, bis schließlich mein ganzer Kopf im Schlafzimmer steckt. Meine vier Pfoten sind immer noch draußen, also bin ich es eigentlich doch auch. Im nächsten Moment sehe ich die drei Kleinen – sie liegen friedlich schlafend mitten auf Jules Bett. Das geht doch nicht! Ich bin empört und zeige dies deutlich, indem ich kurz belle. Allerdings reagiert niemand, Jule gießt die Blumen und winkt nur mit der Hand, als wollte sie sagen:
L
ass mir mal meine Ruhe, Rika!
Und die Katzenkinder sind so tief ins Land der Träume eingetaucht, dass sie keine Reaktion zeigen.
Wie es aussieht, muss ich also die Sache selbst in die Hand, oder besser gesagt, ins Maul nehmen. Wenn ich schnell bin, wird Jule gar nichts merken. Ein einziger großer Sprung trägt mich auf ihr Bett, wo ich mit den Vorderpfoten direkt vor dem schlafenden Willy lande. Vorsichtig nehme ich ihn mit dem Maul auf und bin mit drei weiteren Sprüngen zurück im Wohnbereich, bei meinem Körbchen, wo ich den immer noch schlafenden Kater sanft ablege. Jule dreht sich nicht einmal um, sie ist immer noch mit ihren Pflanzen beschäftigt. Frieda bringe ich auf dem gleichen Weg und genauso unauffällig von Jules Bett zu meinem Schlafplatz.
Gerade als ich Goldy im Maul habe, geht Jule an der geöffneten Schlafzimmertür vorbei und hält den Orchideentopf mit beiden Händen, wohl um ihn in die Küche zu tragen. Im selben Augenblick maunzt Goldy, was Jule dazu bringt, doch den Kopf nach links zu wenden, der Quelle des Maunzens zu. Sie schreit entsetzt auf, als sie mich mit dem Kätzchen im Maul entdeckt, mitten auf ihrem Bett stehend. Vor Schreck lässt sie den Blumentopf fallen, sodass es schon wieder eine Schweinerei auf dem Fußboden gibt.
»Rika! Runter da, aber sofort!«
Ja, sicher, das wollte ich doch sowieso gerade tun. Mit Goldy im Maul wetze ich an Jule vorbei, die mich böse anschaut. Dabei wollte ich nur helfen.
Oh je, ich ducke mich jetzt wohl lieber in mein Körbchen und versuche, mich unsichtbar zu machen. Die Kätzchen scheinen das genauso zu sehen, denn sie machen mir bereitwillig Platz. So liegen wir nun alle vier auf meinem Schlafplatz und schauen Jule zu, die ziemlich sauer ist. Sie muss nicht nur die Orchidee wieder einsammeln, sondern auch die ganze grobe Krümelerde, die in alle Richtungen verstreut auf dem Boden liegt. Ich bin auch noch mitten hindurchgelaufen und habe zur weiteren Verteilung beigetragen.
Als alles wieder ordentlich und die Orchidee zum zweiten Mal heute neu eingetopft ist, bessert sich auch Jules Laune wieder. Sie setzt sich zu mir, streicht über meinen Kopf und spricht mit ernster, aber freundlicher Stimme: »Rika, du darfst NICHT ins Schlafzimmer. Und du darfst auch die Kätzchen NICHT auf mein Bett legen. Verstanden?«
Ach, Jule, du hast mich zwar wieder einmal völlig missverstanden, aber ich hab dich trotzdem lieb!
Die nächsten Tage vergehen fast normal. Wenn man davon absieht, dass drei Katzenkinder durchs Haus toben und Quietschemäuse jagen. Und dass die Sache mit der Leberwurst mein kleines Hundehirn fast qualmen lässt. Wie passen die Kätzchen mit dem Leberwurstgeruch zusammen? Auf jeden Fall muss der Leberwurstduft mit dem Mörder zu Liane gekommen sein, dessen bin ich mir inzwischen fast sicher.
Von nun an ist für meine Schnüffelnase erst einmal jeder verdächtig, der nach Metzger Krumms Leberwurst riecht. So! Ja, und dann? Weiter komme ich vorläufig nicht mit meinen Überlegungen. Diese ungewohnte Grübelei ist einfach zu anstrengend für mich. Meine Gedanken huschen immer wieder
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