Der Leberwurst-Mörder
davon, wie kleine flinke Mäuse. Jule scheint es ähnlich zu gehen, sie kann sich nicht auf ihre Schreiberei konzentrieren. Stattdessen sitzt sie da, guckt den Katzenkindern beim Spielen zu, läuft umher und schüttelt immer wieder den Kopf, als wolle sie lästige Gedanken verscheuchen. So erscheint es uns beiden wie eine Befreiung, als wir uns am Donnerstagnachmittag endlich auf den Weg zum Tierheim machen, zu Paula.
Jule hat Mara am Telefon von der Verabredung erzählt. Beide waren sich einig, dass es besser wäre, wenn Jule sich allein mit Paula trifft. Es könnte ja schließlich sein, dass Paula etwas von Liane weiß, was sie nur ungern weitererzählt.
Das kann ich verstehen. Auch in meinem Leben gibt es Dinge, die ich nicht jedem auf die Hundenase binde. So schäme ich mich zum Beispiel sehr, dass ich nicht schussfest bin, wie der Fachmann es nennt. Jule weiß das natürlich, aber im Tierheim habe ich nur Nino davon erzählt. Es ist ja auch blamabel für einen Jagdhund, bei jedem Knall vor Angst auf Jules Schoß zu springen und minutenlang am ganzen Körper zu zittern. Nino meint, jeder hätte Erlebnisse aus der Kindheit, die er ein Leben lang verarbeiten müsse. Andere Hunde fürchten sich vor Menschen in Uniformen oder vor dem Zischen sich schließender Bustüren.
Oh ja, Nino ist sehr weise, und ich freue mich, ihn gleich wiederzusehen.
Jule scheint der Termin mit Paula sehr wichtig zu sein. Im Stadtpark lässt sie mir gerade mal Zeit, meine Geschäfte zu verrichten, dann geht es weiter, ohne dass sie auch nur ein einziges Mal meinen Ball geworfen hätte. Wenige Schritte vor dem Tierheim begegnen wir erneut der lustigen Dame mit den bunten Federn im Haar, die so stark nach Erdbeeren riecht. Wieder trägt sie die prall gefüllte, große blaue Tasche unter dem Arm, und wieder läuft sie schimpfend an uns vorbei. Ich verstehe nur
Unerhört!,
während die Frau davonstürmt.
Jule schüttelt den Kopf. Sicher denkt sie ähnlich wie ich, dass es eben Menschen gibt, die
seltsam
sind. Manche bezeichnen sie auch als
nicht normal.
Aber wer entscheidet eigentlich, was normal ist? Mir gefällt darum
seltsam
besser.
Paula sitzt mit einem Haufen Papierkram vorne im Büro. Wie erwartet, liegt Nino unter ihrem Schreibtisch. Ich geselle mich zu ihm, gebe ihm einen Nasenstupser, und dann stellen wir beide unsere Ohren auf, um dem Gespräch der Frauen zu folgen.
Sie umkreisen sich mit Worten, so wie wir Hunde umeinandertänzeln, wenn wir uns kennenlernen. Weder Jule noch Paula scheinen gleich verraten zu wollen, was sie wissen. Sie reden zwar über Liane, doch nur oberflächlich – ich erfahre nichts Neues und langweile mich. Nach einer Weile wird es wohl auch Jule zu bunt, sie schaut Paula an und fragt ganz direkt: »Weißt du,
wie
Liane neue Besitzer für die Kätzchen gefunden hat?«
Paula schüttelt den Kopf. »Ich wusste es nicht. Aber inzwischen glaube ich, es zu wissen.« Sie senkt die Stimme, als müsse sie fürchten, dass jemand mithören könnte, und fragt: »Hast du sie etwa auch über dieses Onlinedating kennengelernt?«
Jule nickt. Somit sind die Fronten geklärt, beide wissen nun voneinander, dass sie mehr wissen, und fangen endlich richtig an, zu reden. Wurde ja auch Zeit!
Jule erzählt Paula die ganze Geschichte, von Anfang an. Wie sie den angeblichen Philipp kennengelernt hat, über die Kätzchen vor ihrer und Maras Tür, den Anruf im Tierheim bis zum Fund der Leiche. Paula nickt mehrmals und macht den Eindruck, als würde alles mit ihrem eigenen Wissen zusammenpassen.
Ich werde immer aufgeregter, denn alles, was Jule mitzuteilen hat, ist mir ja bereits bekannt. Ich spitzel ab und an über die Schreibtischkante und erhoffe mir von Paula endlich Neuigkeiten. Kann es sein, dass sie ein bisschen rot wird, als sie nun ihren Bericht anfängt?
»Liane und ich haben abwechselnd hier an diesem Computer gearbeitet, je nachdem, wer Dienst hatte. Beim Aufräumen ihres Schrankfachs fand ich jetzt ihren Kalender. Seltsam, denn den hat sie sonst immer mitgenommen. Na ja, und da hab ich ...«
Paula wird nun richtig rot, aber sie fährt fort.
»Ich hab ein bisschen darin herumgeschnüffelt, weil ich dachte, ich finde einen Hinweis, der Licht in diese Mordsache bringt. Und tatsächlich hab ich ihr Passwort für den Computer gefunden und dort weitergeschnüffelt.«
Sie schaut Jule an, als ob sie erwartet, ausgeschimpft zu werden. Also ich als Hund finde Herumschnüffeln nie schlimm. Mir tun die Menschen
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