Der Leberwurst-Mörder
durch die schmale Öffnung. Das bedeutet, Flocke muss diese Aufgabe übernehmen. Er ist sofort Feuer und Flamme.
Jetzt wird’s kompliziert. Falls schon einmal jemand versucht haben sollte, einen alten Dackel dazu zu bringen, auf eine Bank zu springen, weiß er, wovon ich rede. Dackel haben kurze, krumme Beine, die dazu gemacht sind, in die unterirdischen Gänge von Füchsen und Dachsen einzudringen, um diese aus dem Bau heraus und dem Jäger vor die Flinte zu jagen. Flocke ist noch nie höher als über eine Teppichkante gesprungen. Die Bank ist für ihn unerreichbar hoch.
Angestrengt denke ich nach. Wir bräuchten eine Treppe für Flocke, doch hier ist keine. Hier bin nur ich. Eine Idee schießt in mein Hundehirn. Im nächsten Moment liege ich auf dem Bauch, lang ausgestreckt, neben der Bank am Boden und bedeute Flocke, auf meinen Rücken zu klettern.
Von dort schafft er es umständlich und mit rudernden Hinterpfoten auf die Sitzfläche der Bank hinauf. Die erste Etappe haben wir geschafft. Nun lege ich mich auf die Bank, Flocke klettert wieder auf meinen Rücken und muss sich jetzt gut festhalten. Langsam drücke ich meine Beine durch und erhebe mich so mit der Last auf meinem Rücken. Ich fühle mich ein bisschen wie der Esel bei den
Bremer Stadtmusikanten
, von dem Jule in einem ihrer Bücher erzählt.
Flocke zappelt mit den kurzen Beinchen, er hat Angst hinunterzufallen. Und tatsächlich, ich spüre, wie er immer weiter zur Seite rutscht. Mit einem letzten Ruck richte ich mich komplett auf und verlagere mein Körpergewicht gleichzeitig so weit es geht nach rechts, auf das geöffnete Fenster zu. Schmerzhaft spüre ich die hölzerne Rückenlehne der Bank an meinen Rippen. Ein leises Plumpsen ist aus dem Inneren des Hauses zu hören, dann ein aufgeregtes Hecheln. Wir haben es tatsächlich geschafft – Flocke ist drinnen.
Ein begeistertes Sabbern verrät, dass Flocke die riesigen Schinken nun ebenfalls entdeckt hat. Trotzdem ist er mit ganzem Herzen auf der Spur des Mörders, denn ich sehe, wie er seine kleinen Zähne vorsichtig in den Ärmel der Jacke vergräbt und versucht, diese vom Stuhl nach oben auf den Tisch zu ziehen.
Leider ist die Jacke groß und schwer, der Dackel dagegen klein und alt. Er zieht und ruckelt und zerrt, und die Jacke rutscht auch ein Stückchen nach oben, doch er wird es nicht schaffen, sie ganz auf den Tisch zu heben. Während ich noch überlege, was wir tun können, um trotzdem das Beweisstück zu sichern, hat Flocke sich regelrecht in die Jacke verbissen und schüttelt sie, als wäre es eine Beute. Die eine Seite der Jacke rutscht vom Stuhl, Flocke scheint es vor lauter Jagdeifer gar nicht zu merken.
Ich gebe ihm leise ein Zeichen, vorsichtig zu sein. Er lässt die Jacke tatsächlich für einen Moment los und schaut fragend zu mir nach oben. Das war ein Fehler, denn nun rutscht auch die andere Seite der Jacke vom Stuhl und sie fällt auf den Boden.
Ohne lange nachzudenken, springt Flocke hinterher – erst auf die Sitzfläche des Stuhls und dann auf den Boden.
Oh je, wie soll er von dort ohne Hilfe wieder auf den Tisch zurück- und zum Fenster hinauskommen?
Leise beratschlagen wir, dass es das Beste wäre, wenn Flocke sich unter dem Tisch versteckt. Irgendwann muss ja jemand kommen und die Tür zum Hof öffnen. Vielleicht haben wir Glück, und Flocke kann dann mit der Jacke unbemerkt hinaushuschen. Der Dackel zieht also weiter an der Jacke, schleift sie über den Boden in Richtung Wachstuchtischdecke. Schon ist mein kleiner krummbeiniger Freund fast komplett darunter verschwunden, wie unter einer Zeltplane, nur noch die Schnauze guckt heraus. Flocke will die Jacke ebenfalls ins Versteck zerren. Doch die rührt sich kaum noch vom Fleck, als wäre sie plötzlich schwerer geworden. Was ist passiert? Ich kann es von hier oben nicht erkennen, da ein Teil der Tischplatte mir die Sicht nimmt. Auf einmal gibt es ein fürchterliches Gepolter. Der Stuhl fällt um und schlägt mit lautem Krachen auf den gefliesten Boden. Anscheinend hatte die Jacke sich an einem der Stuhlbeine verfangen, doch nun hat Flockes Gezerre Erfolg, und er schießt samt Jacke rückwärts unter den Schutz der Wachstuchdecke.
Keinen Moment zu früh, denn, vom Lärm aufgeschreckt, steht mit grimmigem Blick der Metzger in der Tür, das große Beil in der Hand. Ich kann gerade noch von der Bank springen und hoffen, dass er meinen Kopf durch das kleine Fenster nicht gesehen hat.
Im nächsten Augenblick wird
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