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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Giusi Marchetta
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Aktive und intransitive Deponentien. Falls jemand einen Brandherd sichtete, sollte er bitte den Notruf wählen.
    »Guten Morgen.«
    »Mmm.«
    Ich hob nicht einmal den Kopf von der Rückenlehne, hatte kein Interesse, die vor uns liegenden Autobahnkilometer zu sehen. Noch weniger kümmerten mich die zurückgelegten, die verloren, einfach weg waren.
    »Wo sind wir?«
    »Ligurien.«
    »Schon?«
    Ich schloss wieder die Augen und legte ihm eine Hand auf den Arm. Von dort schien das Dröhnen des Motors zu kommen, aus dem angewinkelten Ellenbogen, der die Bewegungen des Lenkrades unterstützte, aus Massimilianos Herz, das Blut in das ganze Auto pumpte, es eine ganze Nacht hindurch am Laufen gehalten hatte.
    »Wir sind fast da«, sagte er.
    Nach einer weiteren Stunde erreichten wir Turin, fuhren am Fluss entlang, vertrauten uns ihm an, um die Straße zu finden. Die Stadt kam mir vor wie ein endloser Park, mit Hügeln, Alleen.
    »Halten wir mal kurz an?«
    Beim Austeigen musste ich mich an der Beifahrertür festhalten. Irgendjemand hatte mir die Beine geklaut, ich spürte sie nicht mehr. Massimiliano ging zur Bar gegenüber, kam mit Kaffee und der Sonntagsausgabe von La Stampa zurück.
    »Keine unterhaltsame Lektüre«, sagte ich zu ihm.
    Wir setzten uns auf eine Wiese. Ein paar morgendliche Jogger ehrten den Sonntag, indem sie ihre Waden malträtierten. Fahrzeuge, Personen, Hunde bewegten sich gesittet und friedlich. Diese Ruhe hatte nichts mit unserer zu tun, die immer öfter einer wütenden Atempause glich von dem ständigen Bedürfnis, sich abzureagieren. Unsere war eine gefährliche Ruhe: In ihr reiften die schlimmsten Entscheidungen, die sich verfestigen und Gewalt annehmen, unausweichlich erscheinen konnten. Deshalb war kein Einwand gegen unsere Entscheidungen möglich: bleiben, weggehen, jemanden zurücklassen – das alles hatten wir schon getan, tausendmal erwogen, ohne es auszusprechen.
    »Verschone mich bitte«, sagte Massimiliano und rauchte seine Zigarette zu Ende. »Ich bin es, der Tränen vergießen sollte, dass ich wieder runterfahren muss.«
 
    Ich sage es mir immer wieder: Kein Schrank räumt sich von selbst ein.
    Keine Straße Turins wird mir je vertraut werden, wenn ich nicht häufiger rausgehe. Kein Tag ist so leer wie der Sonntag.
    In Margheritas Zimmer ist jemand, der mit ihr lacht, die Musik der Stereoanlage übertönt und es mir schwer macht, mich ins Badezimmer zu schleppen und mein Tagewerk zu beginnen.
    Mir beim Zähneputzen und Anziehen möglichst viel Zeit zu lassen, ist die einzige Möglichkeit, mich um das Auspacken der noch zugeklebten Kartons zu drücken: Bücher und Kleidungsstücke pochen gegen die Wände aus Pappkarton, wollen befreit werden.
    »Ok«, sage ich mit lauter Stimme. Ich kapituliere.
    Kein Bett ist so leer wie meins.
    Kein Zimmer ist kälter.
    Als das Telefon klingelt, widerstehe ich dem Impuls, Margherita zu rufen, ergreife flugs den schnurlosen Apparat und kehre in mein Zimmer zurück.
    »Hallo?«, sage ich und werfe mich auf das noch ungemachte Bett.
    »Margherita?«
    »Nein, einen Moment bitte.«
    Ich renne zu ihrer Tür, klopfe an. Die Musik wird etwas leiser gestellt, und sie zischt jemandem zu, er solle still sein.
    Ich versuche, Zeit zu gewinnen. »Wer ist dran?«
    »Geben Sie sie mir.«
    Margheritas Tür öffnet sich gerade so weit, dass sie in dem Spalt auftaucht.
    »Wer ist dran?«
    »Ich weiß es nicht. Ein Mann.«
    Diese Erklärung kommt mir albern vor. Aber es ist kein Junge. Es ist ein Mann.
    »Gib her.«
    Margherita blickt auf das Display, und ihr Gesicht fällt in sich zusammen. Ich schaffe es nicht rechtzeitig, etwas zu sagen: Sie zieht den Kopf zurück und schließt die Tür.
 
    Die E-Mail in halbfetter Schrift ist von Gianni.
    Ohne sie zu öffnen, lade ich sie herunter und suche nach einer Schere. Mit dem vordersten Karton fange ich an: Ich steche mit der Spitze der Schere hinein, schneide das Klebeband durch und reiße es weg. Dann ist der nächste an der Reihe. Danach ein weiterer und noch einer, bis alle mit einer aufgeschlitzten Kartonseite rücklings auf dem Fußboden liegen.
    Nur einer versteckt sich unversehrt halb unter dem Bett. Ich ziehe ihn zu mir heran, lese die krumme Aufschrift: UNI - ZEUGS . Uni und Aufbaustudium sind mit mir nach Turin gekommen: die Examensprogramme, die Bücher, die in zwei Jahren Studium angehäuften Formblätter. Die Examensarbeit.
    Auf dem Desktop öffnet sich ein rundes Fenster: Download abgeschlossen. Was will ich
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