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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Giusi Marchetta
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Puzzlestück und schnitt es durch.
    »Auch aus tausend Teilen krieg ich es zusammen. Dieses verfluchte Puzzle.«
    Sie schwiegen, während das Wasser kochte. Dann goss sie den Tee auf und stellte ihn auf den Tisch. Sie holte auch die Tabletten und legte sie vor ihn hin.
    »Für später. Wenn du willst.«
    Da erzählte ihr Vito von dem Fest, von Elisa.
    »Es war für heute, weißt du. Heute ist nämlich mein Geburtstag.«
    »Wirklich? Herzlichen Glückwunsch.«
    »Danke«, sagte er und fing wieder an zu schnippeln.
    »Weißt du«, begann Margherita mit gesenkter Stimme, »manchmal verspricht man etwas, aber dann …«
    »Aber dann tut man es nicht«, beendete er den Satz und schnippelte weiter. »Die Leute sind zum Kotzen.«
    Er ist kein schöner Mann. Die breiten kräftigen Schultern und der Stiernacken erdrücken die Gesichtszüge, lassen ihn wie einen Muskelberg erscheinen, der auf ein krummes Skelett gepackt wurde. Allerdings hat er schöne Augen und schöne Hände. Er sollte mehr Wert auf sein Äußeres legen, aufrecht gehen, sich die Haare schneiden lassen, keine Beruhigungsmittel mehr nehmen, die ihn anschwellen lassen wie einen Luftballon. Er sollte normal sein. Dann wäre er ein ganz passabler Mann.
    »Wo sind denn die anderen alle?«
    »Oben. Du hast ihnen Angst gemacht.«
    Er lächelte ein bisschen.
    »Das ist nicht lustig, Vito. Sie haben Angst vor dir. Besonders Federico.«
    Da lachte er los.
    »Ich bin es, der nicht mit Federico zusammenleben kann«, sagte er. »Hast du nicht gesehen? Er hat das Wasser in der Dusche aufgedreht, dieser Dummkopf.«
    Damit war das Problem erledigt. Oder beinahe.
    Wir haben es jetzt erledigt, Margherita und ich, indem wir einen Pullover einpackten, damit Vito glaubt, dass die Leute nicht zum Kotzen sind.
 
    Während ich auf sie warte, habe ich Zeit, die E-Mail hervorzuholen und zu lesen, schnell, als ginge es nicht darum, sie zu verstehen, sondern die Wörter bis zum Ende des Blattes aneinanderzureihen. Dann konzentriere ich mich auf die Fassade des Hauses auf der anderen Straßenseite. Ein Riss verläuft dort oberhalb der Fenster des ersten Stocks bis hinauf zum zweiten und verschwindet dann hinter einer verrosteten Rohrleitung. Sie ist langund dick: Der Riss könnte sich also bis zum Dach hochziehen, ein unsichtbarer Defekt, der täglich größer wird und den wir nicht bemerken. Eine Kleinigkeit würde genügen, um das Haus zum Einsturz zu bringen.
    Wenn ich zum Beispiel die E-Mail hervorziehen und sie in unmittelbarer Umgebung eines so einsturzgefährdeten Gebäudes noch einmal lesen würde, würde ich eindeutig unverantwortlich, ja geradezu boshaft, handeln. Die Tragweite dieser wenigen Worte, eines Heers von Punkten, Vokalen und Imperativen, von fern abgeschossen wie Pfeile, würde ausreichen, alles schlagartig zum Einsturz zu bringen. Nach so vielen Jahren der Stabilität und kommunaler Kontrollen, der Anstriche, Treppenreinigung, Rattenbekämpfung, bräuchte ich das, was mir Gianni in einem hysterischen Satzbau vor Kummer und Wut geschrieben hat, nur anders zu lesen, und das Haus stünde nicht mehr.
    »In Ordnung«, sagt Margherita hinter mir. »Wir können gehen.« Sie eilt an mir vorbei und berührt mich am Arm, erschreckt mich, merkt es aber nicht.
    Wie es scheint, ist die Mission abgeschlossen: Vito trainiert im Fitnessraum; Emilio, der andere Sozialarbeiter, wird ihm mitteilen, dass heute Morgen ein Paket für ihn angekommen ist, mit offenkundiger Verspätung.
    »Aber wenn Elisa nun doch noch von sich hören lässt?«, frage ich. »Er würde außer sich geraten, dass nicht sie ihm den Pullover geschickt hat.«
    »Verlass dich drauf«, sagt Margherita, »diese Gefahr besteht nicht.«

6
    Ich hasse Türen, bei denen ich anklopfen muss.
    »Herein.«
    Santojannis Zimmer hat als einziges keine Nummer an der Tür. Das ist auch nicht notwendig.
    Bevor es zu seinem Aufenthaltsort wurde, muss es ein Klassenzimmer gewesen sein, ein kleiner lichtloser Raum für eine aufgrund der vielen Durchgefallenen geschrumpfte fünfte Klasse. Ein paar unter das Fenster geschobene Bänke, einige Stühle, ein Kalender, ein mit mehreren Vorhängeschlössern behangenes Schränkchen, ein Kleiderständer mit zwei Haken.
    Alles Übrige wurde von irgendjemandem weggefegt, der die Poster von den Wänden gerissen und diese weiß und schutzlos zurückgelassen hat, die Tafel hat er in eine Ecke verbannt und sie mit einem Tuch verhängt, ein staubiges Gespenst. Unterwegs hat er überall seine
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