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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Giusi Marchetta
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Klasse ab.
    De Lucia schüttelt den Kopf.
    »Verehrte Schulleiterin, wenn wir Riccardi nicht vom ersten Schuljahr an in die Klasse eingliedern, werden wir das eines Tages noch bereuen. Er wird nämlich ein zweiter Santojanni werden.«
    Schlagartig verstummen sämtliche Kollegen und Kolleginnen: Das ist keine Ankündigung, es ist eine Drohung.
    Die Schulleiterin befeuchtet sich die Lippen. »Na schön«, sagt sie. »Dann wird also beschlossen, dass der Schüler Andrea Riccardi bis Dezember im Förderbüro sein wird. Von Januar an wird seine mögliche Wiedereingliederung in die Klasse erwogen, unter der Voraussetzung, dass dies mit seiner eigenen Sicherheit und der seiner Mitschüler vereinbar ist.«
    De Lucia nickt.
    »Ich möchte hinzufügen, dass Sie, werter Kollege, derjenige sind, der am geeignetsten ist, sich um den Jungen zu kümmern. Da Sie so qualifiziert zu sein scheinen, wo doch andere gescheitert sind«, fügt sie mit einem Wink in meine Richtung abschließend hinzu.
 
    Ich sehe die Kollegen wegfahren, De Lucia auf dem Motorrad, die anderen in Autos, und denke, dass es einen Ort in dieser Stadt geben müsste, wo ich jetzt hingehen könnte. Einen Ort wie die Piazza del Gesù, die Stufen des Maschio Angioino. Annas Wohnung.
    Hier im Norden ist fast schon Abendessenszeit: Die Geschäfte haben bereits geschlossen, die Leute verschwinden in den Häusern, sagen dem Tag Adieu, bereiten sich auf morgen vor. Es ist eine Stunde, die es in Neapel nicht gibt.
    Das Zentrum von Turin besteht aus Arkaden, Mansarden, Standbildern von Königen, blitzsauberen Straßen, Museen, Bibliotheken, Straßenbahnhaltestellen. Es ist wie Paris, Wien, Stuttgart: eine fremde Stadt.
    »Bist du sicher?«, hatte mich Gianni gefragt. In der Bewerbung um Aufnahme in die Wartelisten für den Schuldienst hatte er Turin gelesen: Das musste ein Irrtum sein.
    »Das ist nur eine der Möglichkeiten. Es ist ja nicht gesagt, dass ich dorthin komme.«
    Wortlos hatte er begonnen, Kaffee zu kochen. Ich hatte den Briefumschlag wieder verschlossen und dann dem Impuls widerstanden, alles zum zigsten Mal zu überprüfen.
    »Für mich keinen. Ich muss gehen, es ist schon spät.«
    Er hatte sich kaum zu mir umgedreht.
    »Jetzt sei doch nicht so. Es ist ja schließlich nicht New York, ok? Mit dem Flugzeug wird man gerade mal eine Stunde brauchen. Vielleicht …« Ich hatte nicht weitergesprochen, weil er den Zucker hingestellt und danach das Holzschränkchen zugeknallt hatte, wie um einen Punkt zu setzen.
    »Warum zum Teufel willst du mich eigentlich überzeugen? Das geht mich doch sowieso nichts mehr an, oder?«
    Ich hatte kein Wort herausgebracht, einfach nur dagestanden, den Briefumschlag in den Händen, um wie ein Blitzableiter seine Wut auf mich zu ziehen.
    Es ist doch lediglich eine kurze Unterbrechung, hätte ich gerne gesagt. Ich habe dich doch nur um ein paar Monate gebeten, um nachdenken zu können. Das habe ich nicht verdient, hör auf zu schreien. Schlecht drauf zu sein. Noch bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, sagte Gianni: »Wenn du dich ohnehin schon entschieden hast, nicht mehr mit mir zusammenzuleben, kann ich nicht erkennen, was weitere neunhundert Kilometer ausmachen sollen.«
    O doch, die machen etwas aus, denke ich jetzt, während ich mich auf dieser langen, endlosen Straße ohne Kurven und ohne Unterbrechungen dahinschleppe. Ich kenne ihren Namen nicht, sie ist nur eine von vielen. Eine Prachtstraße voller herrschaftlicher Gebäude mit hohen Fenstern, von der Decke hängenden Kronleuchtern, die gerade, als mein Blick auf sie fällt, erleuchtet werden. Passanten, die mir entgegenkommen und mich überholen, ohne mich zu erkennen, ohne mich zu kennen.
    Doch, Gianni, es macht etwas aus. Selbst ein Meter würde etwas ausmachen. Und dann erst neunhunderttausend!
    Ich folge der Straße, die erst am Fluss endet. Wir kennen ihn aus Büchern, wissen, dass es ihn gibt: In Turin jedoch ist er Realität, man sieht ihn.
    Der Po ist breit, mächtig angeschwollen: kommt überall hin, tut alles Erdenkliche, um diesen Straßen Widerstand zu leisten, sie zu durchschneiden, sie zu zwingen, einen großen Bogen um ihn zu machen. Das gelingt ihm teilweise, er unterbricht sie, aber auf der anderen Seite gehen sie weiter.
    Ich mische mich unter die jungen Leute, die spazieren gehen, joggen oder sich in einem der zahllosen Lokale am Ufer einen Aperitif genehmigen.
    Nach und nach löst sich die Verkrampfung in meiner Kehle, lässt den Sauerstoff
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