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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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eine runter«, sagt Dip. »Wenn mich jemand beleidigt oder mir was antut, hau ich ihm eine runter.«
    Genau zum richtigen Zeitpunkt klopft Petar an die Tür.
    »Setz dich«, sage ich. »Wir lesen das Kapitel zu Ende und dann kommen wir zu deinen Hausaufgaben.«
    Er gehorcht. Mattias Augen folgen ihm von einer Seite des Zimmers zur anderen.
    »Mattia?«
    Ich reiche ihm das Buch, aber er nimmt es nicht.
    »Aber waren die Nazis denn traurig?«, fragt er.
    Im Zimmer gibt es einen Aufstand: »Die Nazis waren böse.«
    »Ungeheuer böse.«
    »In einem gewissen Sinn«, sage ich. Es ist klar, dass es kein einfaches Wort für Inflation gibt. Oder für Rezession . »Die Deutschen kamen sich armselig vor, weil sie den Ersten Weltkrieg verloren hatten. Wahrscheinlich sind sie deshalb böse geworden.«
    Die Kollegen wechseln einen schnellen Blick.
    »Die Deutschen waren stark«, sagt Mattia. »Sie töteten alle Juden. Das haben wir im Film gesehen.«
    Die anderen pflichten ihm bei. »Ja, ja, im Film sind alle Juden umgekommen!«
    »Nicht alle.« Meine Stimme klingt unsicher: Völkermorde lassen sich schwer herunterspielen.
    »Doch, alle!«, schreit Dip. »Sie zogen ihnen Schlafanzüge mit Streifen an. Und dann haben sie sie mit dem Gas getötet.«
    »Sogar die Kinder«, erklärt mir Rita und berührt mich am Arm. »Da war so ein kleiner Junge im Film, den haben sie auch getötet.«
    Mattia beobachtet Petar, lächelt.
    »Und die Behinderten«, sagt er. »Auch die.«
    Nun starren ihn alle an. Plötzlich schwebt über dem Zimmer eine alte Gefahr. Sie gilt ihnen.
    »Sie haben sie gehasst«, fährt Mattia fort. »Sie haben sie alle umgebracht.«
    Wir lesen das Kapitel zu Ende. In den Kämpfen, in denen er sich schlagen muss, trifft Zanna Bianca schließlich auf einen Bluthund, der ihn schlimm zurichtet und halbtot auf dem Boden liegen lässt.
 
    Diesmal frage ich sie, bevor ich wieder Schaden anrichte.
    »Ist es dein Vater, der ständig aus Pavia anruft?«
    Margherita schaut nicht von ihrem Computer auf.
    »Ja. Nimm den Anruf einfach nicht an, wenn es dir unangenehm ist.«
    »Nein, ich bitte dich.«
    Ich wende mich wieder meinem Buch zu: Ich will wissen, wie dieser böse Wolf endet.
    Das Telefon klingelt noch zweimal, dann verstummt es. Es hinterlässt eine Stille im Zimmer, die mich trotzdem ablenkt, also kann ich sie auch gleich fragen.
    »Willst du denn nicht wissen, was er will?«
    »Nein.«
    Margherita notiert sich etwas auf ihren Schreibblock. Sie sieht seltsam aus mit der Brille, und man merkt, dass sie nicht daran gewöhnt ist, eine zu tragen, weil sie sie ständig zurechtrückt, wie jemand, der eine Maske trägt.
    Dann gibt sie mir ein Zeichen: Ich soll herkommen.
    »Was hältst du von der hier?«
    Rasch lese ich die Anzeige. Sie suchen Erzieher für eine neue Einrichtung: wiederum Behinderte.
    »›Maximal achtundzwanzig Jahre‹? Warum?«
    Sie zuckt mit den Schultern, speichert den Link der Seite, verschiebt die Entscheidung auf später.
    »Kaffee?«, frage ich.
    Ich konzentriere mich darauf, alles richtig zu machen: Wasser, Kaffee, Aufkochen, Zucker. Es ist zwecklos. Ich kriege es einfach nicht hin.
    Margherita trinkt ihn trotzdem, gewöhnt sich allmählich daran.
    »Also, was hältst du davon?«
    Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, aber ihre Frage ist ohnehin rhetorisch. Sie hat bereits darüber nachgedacht: Sie wird ihren Lebenslauf hinschicken. Dies ist nicht der geeignete Moment, die Wählerische zu spielen.
    Als sie ihren Kaffee ausgetrunken hat, nimmt sie das Handy, löscht die entgangenen Anrufe.
    »Mit vierzehn bin ich von zu Hause weggegangen«, erzählt sie mir. »Seit einem Jahr ruft er an: Macht insgesamt dreizehn Jahre, in denen er auf meine Anrufe hätte reagieren können.«
 
    Als ich aufhöre zu diktieren, beginnt Petar mit seiner Grammatikübung. Seit einem Monat geht das so: Er besucht die Lektürewerkstatt, ich helfe ihm, seine schulischen Mängel auszugleichen. Mittlerweile hat er es auf eine fünfeinhalb geschafft. Ein enormer Sprung.
    Sein Problem sind die Aufsätze. Er lebt erst seit zwei Jahren in Italien: Die italienische Sprache fällt ihm schwer, zumindest, wenn er sich schriftlich ausdrücken muss.
    »Auf Rumänisch fällt mir mehr ein. Auf Italienisch gar nichts.«
    Ich erkläre ihm, dass beide Sprachen eng miteinander verwandt sind. Mir fällt nichts anderes ein.
    Beschreibe dich selbst, beschreibe deine Familie, beschreibe dein Zuhause.
    Petar führt die Aufgabe gehorsam aus:

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