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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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machen.«
    Ich erzähle weiter, auch wenn ich mich an das Buch nicht mehr genau erinnern kann. Im Gedächtnis geblieben sind mir der Schnee, die Schlittenfahren im Yukon-Tal, die Vorderpfoten des Hundes, die zu einer Obsession werden, die Einsamkeit, die Ungerechtigkeit, die Wut, die Revanche. Der Frieden. Alles Übrige zählt nicht, ich erfinde es einfach: Es ist meine Geschichte.
    »Ein unglaublich starker Wolf«, sage ich zum Schluss ganz außer Atem. »Ein außergewöhnlicher Wolf.«
    Der Tonklumpen hat die Form eines Fahrradsattels angenommen. Andrea wendet ihn in den Händen hin und her.
    Ich habe verstanden, lasse es sein, nähere mich dem Sockel, auf dem zwei Reptilienschwänze aus Ton liegen, glatt und spitz zulaufend.
    »Ich mag keine Wölfe.«
    Ich drehe mich um: Das kann ich mir nicht eingebildet haben.
    Ich wende mich ihm zu, räuspere mich.
    »Ach nein?«
    Riccardi sieht mich nicht an.
    »Was machst du da?«
    »Den Minotaurus«, antwortet er und drückt in die Schnauze des Untiers eine Öffnung, die den Rachen darstellen soll.
    »Schön.«
    Nur nicht zittern, denke ich.
    »Das sind also die Hörner und das hier ist der Kopf, richtig?«
    Riccardi erstarrt zur Salzsäule.
    »Komm mir nicht zu nahe«, sagt er.
    »In Ordnung.«
    Ich gehe einen Schritt zurück, schaue ihm bei der Arbeit zu. Ich warte darauf, dass die gebogene Form der Augen hervortritt, dann erzähle ich ihm die Sage von Theseus und dem monströsen Sohn des Minos.
 
    Als die Pausenglocke ertönt, drängen die Klassen wieder auf den Flur. Der Kleinbus für die behinderten Schüler steht schon bereit, um sie abzuholen: Die Schule besteht momentan aus Schülern mit mittleren Intelligenzquotienten.
    Bis auf Mattia.
    »Tschüss.«
    »Was machst du hier?«
    »Mama holt mich ab. Vielleicht.«
    »Gut. Dann bis morgen.«
    »Sag mal …«
    »Was ist?«
    »Der Junge, der heute hier war.«
    »Ja.«
    »Kommt er ab jetzt immer mit uns ins Leselabor?«
    »Warum fragst du?«
    »Nur so.«
    Ich schlage den Mantelkragen hoch, damit dieses Gespräch unter freiem Himmel im Januar etwas erträglicher wird. Mattia spielt mit den Wassertropfen auf dem Geländer. Er lässt sie bis zum Ende darübergleiten, dann auf den Boden regnen.
    »Vielleicht«, sage ich. »Vielleicht kommt er noch mal.«  
 
    Aus einer kleinen Runde durch die Innenstadt wird ein stundenlanger Spaziergang, ein Kinobesuch ohne jemanden, mit dem man hinterher über den Film reden könnte. Danach legt man sich schlafen, steht morgens auf, fängt wieder von vorne an.
    Zuvor aber erlebt man manchmal eine Überraschung vor der Haustür: Savarese trotzt der feuchten Kälte auf den Straßen mit Daunenjacke und einem nachlässig um den Hals geschlungenen Schal.
    »Margherita ist nicht da.«
    »Würde das einen Unterschied machen?«
    Ich erbarme mich, nehme ihn mit in den Hof des Gebäudes, und wir flüchten uns auf die überdachte Treppe. Er hat sich die Haare schneiden lassen, und die Feuchtigkeit kräuselt sie ihm an den Ohren. Auch der Dreitagebart ist neu, lässt ihn reifer wirken, obwohl ich den begründeten Verdacht hege, dass das zu einem ausgeklügelten Plan gehört, Eindruck zu schinden.
    Ich steige ein paar Stufen hoch, bleibe auf halber Höhe stehen. Dort ziehe ich die Schlüssel aus der Tasche, lasse sie von einer Hand in die andere gleiten.
    »Ich glaube nicht, dass ich dich reinlassen darf.«
    »Mach dir keine Gedanken.«
    Er knöpft seine Jacke auf und setzt sich auf eine Stufe weiter unten. Da sind wir nun und wundern uns, warum der Regen, der auf das Kopfsteinpflaster im Hof prasselt, hier nicht eindringen kann. Egal, woher der Wind weht oder wie sehr der Sturm wütet: Hier sind wir im Trockenen.
    »Wie läuft es denn mit dem Leguan?«
    Ich klimpere mit den Schlüsseln herum. »Gut. Besser.«
    Er sieht mich an.
    »Beißt er nicht mehr?«
    Das Geländer ist ganz verrostet. Die Feuchtigkeit hat es nach und nach zerfressen, und wenn man es berührt, bröckelt der Rost ab und hinterlässt auf der Handfläche schwache Spuren roten Staubs.
    »Manchmal.«
    Savarese schaut wieder zum Tor. Wartet.
    Ich gehe die vier Stufen hinunter, die uns trennen, und setze mich neben ihn. Ein banges Gefühl im Magen sagt mir, dass mir das als Verrat ausgelegt werden könnte. Aber Margherita macht nie vor Mitternacht Feierabend. Es ist noch Zeit.
    »Dafür hat Santojanni einen Zeisig massakriert.«
    Savarese schaut mich an, als hätte ich gesagt, was ich gerade gesagt habe.
    »Der Lehrer hat ihm ein paar

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