Der Leichenkeller
welchem Namen man ihn überprüft.« Sie lachte. »Sobald uns die Fingerabdrücke seinen richtigen Namen verraten, wissen wir mehr. Aber er kennt das Prozedere schon. Er begrüßt jeden im Revier, als sei er dort Stammgast.«
»Soll ich hinkommen und bei der Aussage helfen?«
»Er redet nicht. Hat sofort nach einem Anwalt verlangt. Angeblich hat er das Handy auf der Straße gefunden und die Ausweise in der Mülltonne. Mehr hat er nicht gesagt. Ich werde per Gerichtsbeschluss einen Speicheltest anordnen und eine Strafanzeige aufsetzen. Ich glaube nicht, dass ich Sie vor morgen damit belästigen muss.«
»Gut gemacht, Christine.«
»Danke. Bis morgen.«
Ich klappte das Handy zu.
»Wo bekommt man hier in der Gegend was Ordentliches zu trinken?«, fragte Mike.
Ich blickte auf meine Uhr: halb sieben. »Lasst es uns bei Michael’s probieren, drüben in der 55. Straße. Dort können wir in Ruhe versuchen, Ordnung in dieses Chaos zu bringen.«
»Regnet es noch?« Mike öffnete die Tür und sah nach draußen. »Wo steht euer Auto?«
Mercer zeigte die Straße hinauf. Da Mikes Auto näher war, überquerten wir in dem leichten Nieselregen die 57. Straße und fuhren dann die zwei Blocks südlich auf der Fifth Avenue zur 55. Straße West.
Wir waren fast mit dem Essen fertig, als Mercers Pieper losging. Er verließ den Tisch, um zurückzurufen.
»Hast du noch immer vor, morgen nach Martha’s Vineyard zu fliegen?«, fragte Mike.
»Unbedingt. Wie sieht’s aus? Kommt ihr mit, Val und du? Ich würde mich freuen.«
Er fuhr mit dem Finger über den Rand seines Wodkaglases. »Val geht es nicht besonders gut, Alex.«
Als Mike Valerie Jacobson kennen gelernt hatte, hatte sie gerade eine Mastektomie und intensive Chemotherapie hinter sich. Der Krebs war so aggressiv, dass sie sich laut Auflage der Ärzte bei jeder kleinsten gesundheitlichen Veränderung unter Beobachtung begeben musste.
»Willst du mir davon erzählen?«
»Vielleicht ist es gar nichts. Ich weiß nur, dass es ihr Angst macht, auch wenn sie will, dass ich mir keine Sorgen mache. Sie ist hauptsächlich müde, erschöpft, lustlos. Sie machen diese Woche eine ganze Reihe Tests mit ihr. Vielleicht könntest du sie anrufen und ein bisschen aufheitern.«
»Gott, wie konnte es nur so weit kommen, dass du mich darum bitten musst! Ich habe seit zwei Wochen nicht mehr mit ihr gesprochen. Zuerst mein Urlaub und dann der Prozess. Natürlich rufe ich sie an. Glaubst du nicht, dass ihr ein paar Tage auf dem Vineyard –«
»Sie kann momentan nicht, Alex.«
»Sieh mich an, Mike.« Ich legte meine Hand unter sein Kinn, damit er mir in die Augen sah. »Vertrau mir, okay? Du musst mit mir über diese Dinge reden. Ich kann keine Gedanken lesen.«
Mercer kam zurück und legte seine Hand auf meine schmerzende Schulter. »Trinkt aus, Leute. Wir müssen einen Boxenstopp in der Notaufnahme einlegen.«
Was vermutlich hieß, dass das Opfer eines Sexualverbrechens eingeliefert worden war und man Mercer zur Erstvernehmung eingeteilt hatte. »Eine Vergewaltigung?«
»Nein. Unser Kumpel Andrew Tripping wird wegen multipler Stichwunden behandelt.«
»Ist er –?«
»Er wird’s überleben. Nichts Lebensgefährliches, nur ein paar Löcher im Rücken.«
»Bellevue?«
»Nein. New York Hospital.«
York Avenue und 68. Straße. Mein Viertel.
Wir warfen einige Geldscheine auf den Tisch, um unsere Rechnung zu begleichen, und verließen das Restaurant. Es hatte aufgehört zu regnen, und der nasse Asphalt glitzerte im Scheinwerferlicht des Gegenverkehrs, als wir zuerst in nördlicher, dann in östlicher Richtung zum Krankenhaus fuhren.
Die Krankenschwester war überrascht, uns zu sehen, vor allem nachdem wir ihr unsere Dienstmarken gezeigt hatten. Sie deutete mit dem Kopf auf eine kleine Nische, die durch einen grünen Vorhang von der Station abgetrennt war. »Er ist sediert worden. Ich sehe besser erst nach. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, jetzt mit ihm zu sprechen.«
Als sie davoneilte, flüsterte ich Mercer zu: »Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, überhaupt mit ihm zu sprechen. Er hat einen Verteidiger und soll morgen früh vor Richter Moffett ein Schuldgeständnis ablegen.«
»Ich kann ihm doch ein paar Fragen über die Stichwunden stellen, oder? Dieses Mal ist er das Opfer.«
»Frag vorher die Krankenschwester. Denkst du nicht, dass man ihn bereits vernommen hat? Ich nehme an, dass man ihn im Krankenwagen hergebracht hat.«
Ich ging in den Warteraum,
Weitere Kostenlose Bücher