Der Leichenkeller
größten Bildhauer halten.«
»Wer war das?«, fragte Mercer.
»Saint-Gaudens. Augustus Saint-Gaudens. Roosevelt beschwerte sich bei ihm, dass es den amerikanischen Münzen an künstlerischer Qualität mangelte. Der alte Teddy wollte etwas, das es mit den alten Griechen aufnehmen konnte, ein herrliches Design und hohes Relief. Er hatte den Richtigen für die Aufgabe gefunden. Der neue goldene Doppeladler wurde zum Symbol amerikanischen Reichtums und amerikanischer Macht und war von der ersten Sekunde an, nachdem er in Umlauf war, ein heiß begehrtes Objekt.«
»Auf dem Ding ist nur ein Vogel abgebildet«, sagte Mike. »Warum heißt er Doppeladler?«
»Weil es der doppelte Betrag der alten Zehn-Dollar-Münze war, der man den Spitznamen Adler gegeben hatte.«
»Was beendete den Flug des Adlers?«, fragte ich.
»Ein anderer Roosevelt, Ms. Cooper. Teddys Cousin, Franklin. Bei seiner Amtseinführung, 1933, steckte das Land mitten in der Großen Depression. Eine Tageszeitung kostete zwei Cent, eine Schachtel Zigaretten einen Vierteldollar. Das Einzige, was während dieser Krise seinen Wert behielt, war das Gold selbst.«
»Also kam es zu einem Ansturm auf die Banken, und die Leute fingen an, Goldmünzen zu horten«, sagte Mercer.
»Und zwei Tage nach seinem Amtsantritt schloss Präsident Roosevelt alle Banken, verfügte ein Embargo auf den Export des wertvollen Metalls und hob den Goldstandard auf. Nach März 1933 hat die Münzanstalt der Vereinigten Staaten nie wieder eine Goldmünze ausgegeben.«
»Das heißt, Faruks Stück wurde vor FDRs Proklamation angefertigt?«
»Ah, jetzt sind wir beim Kern der Sache, Mr. Chapman. Das Finanzministerium verbot der Münzanstalt von dem Zeitpunkt an, irgendwelche Goldmünzen zum gesetzlichen Zahlungsmittel zu machen. Aber es versäumte, auch die Herstellung der Münzen zu verbieten.«
»Faruks Doppeladler wurde geprägt, als wir schon nicht mehr auf dem Goldstandard waren?«, fragte ich.
Stark nickte. »Die Münzanstalt war schließlich auch nur eine Fabrik. Die Prägestempel waren fertig, die Goldbarren lagen bereit, und innerhalb eines Monats nach dem Embargo wurden einhunderttausend Doppeladler gegossen. Das Finanzministerium bemerkte den Fauxpas und befahl der Münzanstalt sofort, die Münze für ungültig zu erklären.«
»Also existierten die Doppeladler …«
»Ja, Mr. Chapman«, sagte Stark. »Aber sie waren nur so viel wert wie ein kleines Goldmedaillon. Sie wurden nie gesetzliches Zahlungsmittel.«
Mike lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Das sind ein Haufen vergoldeter Vögel. Wie konnte man da den Überblick behalten?«
»Es gibt herrlich altertümliche Vorschriften, die seit den Anfangstagen unserer Republik existieren«, antwortete er. »Nach römischem Vorbild setzten unsere Vorfahren eine Kommission zur Prüfung von Edelmetallen ein. Einige hundert Probeprägungen wurden in verschlossenen Kisten zu einer ganzen Reihe aufwändiger Untersuchungen zum Wiegen und Testen eingereicht, während alle anderen in der Münzanstalt eingelagert wurden.«
»Was geschah mit den einhundertausend Münzen?«
»1937 erging endlich die Anordnung des Finanzministeriums – auf direkten Befehl des Präsidenten – die ganze Prägung einzuschmelzen. Soweit die Regierung wusste, blieb keine einzige Münze übrig.«
»Wann ist der Adler dann aus dem Käfig entflogen?«, fragte Mike.
»Ich befürchte, das war, als unsere Firma das erste Mal darin verwickelt wurde«, sagte Stark. »1944. Mein Vater war schon seit circa zehn Jahren recht gut im Geschäft, als er eine große Privatsammlung aufkaufte, um sie zu versteigern. Der Besitzer war ein gewisser Colonel James Flanagan.« Stark trank einen Schluck Kaffee. »Mein Vater setzte eine Anzeige in alle Zeitungen, um die Auktion anzukündigen. Für den letzten Posten, den größten Preis, lautete die Annonce: ›Der überaus seltene Doppeladler von 1933.‹ Er war begeistert von seinem Coup.«
»Damit war vermutlich die Katze aus dem Sack«, sagte Mike.
»Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass diese Formulierung die Aufmerksamkeit einiger Münzsammlergrößen auf sich zog, die alle mitbieten wollten. Einer von ihnen rief die Münzanstalt an, um zu fragen, was die Münze so selten machte. Er wollte wissen, wie viele Münzen die Regierung für gültig erklärt und ausgegeben hatte.«
»Die Antwort war ›keine‹?«
»Genau. Ab da traten die Bundesbehörden ziemlich schnell auf den Plan. Durch die Münzanstalt kam der
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