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Der Leichenkeller

Der Leichenkeller

Titel: Der Leichenkeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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Klebebänder aus der Küche und machte noch einmal die Runde, um die riesigen Fensterscheiben, die mir eine so herrliche Aussicht gewährten, abzukleben.
    Als ich gerade im Schlafzimmer auf Zehenspitzen balancierte, hörte ich ein lautes Schlagen auf der anderen Seite des Hauses. Das Band fiel mir aus der Hand und rollte über den Fußboden. Ich kletterte vom Stuhl und folgte dem Geräusch: Es war die Haustür, die im Wind wie wild hin und her schwang.
    Wenn ich zu Hause war, schloss ich selten die Türen ab, aber jetzt drückte ich sie zu und schob den Riegel vor. Ich ging noch einmal durchs Haus, um sicherzugehen, dass der Seiteneingang und die beiden Türen zur rückwärtigen Veranda ebenfalls geschlossen waren, und machte mich dann erneut ans Verkleben der Fensterscheiben.
    Das Unwetter machte den Tieren Angst. Hier auf dem Land war ich an den Anblick gewöhnt. Waldkaninchen, die sich normalerweise nicht vor Einbruch der Abenddämmerung blicken ließen, hoppelten über den Rasen. Eine Stinktierfamilie schmiegte sich im Schutz eines Strandpflaumenbaums aneinander. Vögel kämpften sich gegen den Wind in Richtung Süden vor.
    Ich war genauso unruhig wie die Tiere. Dieses alte Farmhaus hatte Dutzende und Aberdutzende von Stürmen überstanden, aber als jetzt eine Zedernschindel vom Scheunendach gegen das Fenster prallte, wurde mir bewusst, dass mich einzig und allein dünnes Glas vor dem nahenden Hurrikan schützte.
    Ich überprüfte noch einmal, ob alle Fenster dicht waren, und legte alte Strandhandtücher auf die Fensterbretter. Dann schaltete ich im Wohnzimmer das Radio ein, um mich über den Sturm auf dem Laufenden zu halten, nahm eine alte Ausgabe von Sternes Tristram Shandy vom Bücherregal hinter dem Kamin und machte es mir mit dem Buch und einer Bloody Mary auf dem Sofa gemütlich.
    Eingelullt durch die wärmende Kombination aus Alkohol und Kaminfeuer, musste ich eingeschlafen sein. Ein lautes Krachen ließ mich aufschrecken. Ein großer Vogel hatte die Orientierung verloren und war gegen die Fensterscheibe geprallt. Er lag ein paar Sekunden wie betäubt auf der Erde, dann fing er sich wieder und flog mit einem verdutzten Krähen davon.
    Draußen herrschte jetzt eine völlig andere Stimmung. Es war erst kurz nach drei Uhr, aber der Himmel war tiefschwarz, und alles bog sich in dem orkanartigen Wind, der nach Aussage des Nachrichtensprechers fast einhundertzehn Stundenkilometer erreichte.
    Die nächste halbe Stunde fühlte ich mich wie in einer Geisterbahn, aus der es kein Entrinnen gab. Gegenstände wirbelten durch die Luft und krachten auf das Dach und gegen das Haus. Äste brachen mit lautem Knacken entzwei und schlugen gegen die verklebten Fensterscheiben. Ich setzte mich in der Mitte des Raums auf den Boden, da es mich nicht überrascht hätte, wenn ein Zweig durch das Fenster geflogen wäre und mich an das Sofakissen genagelt hätte.
    Um Punkt 16:05 Uhr fiel der Strom aus. Kein Radio, keine Musik, kein leises Summen der Küchengeräte mehr. Im Haus war es nun ebenso dunkel wie draußen, und ich rutschte näher an den Kamin, um meine einzige Wärme- und Lichtquelle mit neuen Holzscheiten zu versorgen.
    Ich schaltete eine Taschenlampe ein und versuchte weiterzulesen, aber das Toben draußen vor dem Fenster machte es unmöglich.
    Der Sturm wütete über eine Stunde lang. Die eigenartigen Geräusche der zerstörerischen Naturgewalten zerrten an meinen Nerven. Die alten Holzplanken ächzten und knarzten, Nieselregen drang durch die Risse in den Türen und Fensterrahmen, und die Sturmböen peitschten gegen das Haus.
    Da hörte ich über mir im ersten Stock ein Geräusch. Schritte? Ich nahm die Taschenlampe und ging die Treppe hinauf. Wahrscheinlich nur Eichhörnchen oder Feldmäuse, die vor lauter Angst ins Haus gekrochen waren oder sich unter dem Dachgesims eingenistet hatten.
    Ich überprüfte alle Räume, konnte aber nichts Auffälliges entdecken. Im Badezimmer fiel der Lichtkegel auf eine Spinne, die sich am Fenstergitter verzweifelt an ihr schillerndes Netz klammerte. Wieder das Getrappel von kleinen Füßchen über mir. Egal, was auf dem Dachboden war, es konnte von mir aus die Nacht dort oben verbringen. Ich würde auf keinen Fall hinaufgehen und genauer nachforschen.
    Jetzt hörte ich ein Klopfen unter mir. Ich ging drei Stufen nach unten, blieb stehen und lauschte erneut. Bis auf den schmalen Lichtkegel meiner Taschenlampe war es stockdunkel. Das Geräusch kam wahrscheinlich von den Fliederbüschen,

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