Der Leichenkeller
Sie nur weiter.«
»Es ist die Wahrheit. Wir sind uns da ganz sicher.«
»Mit ›wir‹ meinen Sie sich und diesen geisteskranken Psychopathen, den Sie vertreten?«
»Hören Sie mir eine Minute zu. Andrew glaubt beweisen zu können, dass Paige letzten Freitag nach unten ging, um Ihnen etwas zu schicken.«
Ich schob die Dokumente, Fachzeitschriften und Fallberichte, die sich während meiner Abwesenheit auf meinem Schreibtisch angesammelt hatten, beiseite. Laura hatte die Post der letzten zwei Tage bereits sortiert, aber sie lag begraben unter den Papieren, die ich heute Vormittag mitgebracht hatte. Ich suchte nach einem Umschlag, der von Paige Vallis sein könnte.
»Und das wäre?« In meiner Aufregung verursachte ich nur noch mehr Unordnung auf meinem Schreibtisch.
»Ich bin mir nicht sicher, Alex. Aber Andrew … nun, wenn ich persönlich mit Ihnen sprechen könnte –«
»Ich rufe Sie später zurück. Ich seh mich mal um.« Abgesehen von den paar Rechnungen, um die ich mich gestern Abend gekümmert hatte, lag auch zu Hause die Post der letzten drei Tage noch unberührt.
Mike war nach mir ins Büro gekommen. »Was wollte der Loser?«
»Sich allein mit mir treffen. Ohne meine Gorillas, wie er es so höflich ausgedrückt hat. Anscheinend denkt Tripping, dass Paige Vallis ihrem Killer über den Weg lief, weil sie mir um Mitternacht noch Post geschickt hat. Ergibt das für dich einen Sinn?«
»Dass ich ein Gorilla bin?« Mike kratzte sich am Kopf. »Nöö.«
»Ich meine den Brief an mich.«
»Ein Abschiedsbrief? Oder eine Entschuldigung, dass sie dir den Prozess so schwer gemacht hat, um dann in ihrem Treppenhaus einen qualvollen Erstickungstod zu sterben? Glaub ich nicht.«
»Ich auch nicht. Sie hätte mich doch anrufen können, falls sie mir unbedingt etwas sagen wollte. Oder wenigstens eine Nachricht hinterlassen, dass sie mir etwas mit der Post schicken würde.«
»Dieser Tripping hat echt einen Sprung in der Schüssel. Total paranoid. Als Nächstes wird dir Robelon erzählen, dass sie in dem Brief ihre Anschuldigungen widerrufen hat und dir sagen wollte, dass sie sich die ganze Sache mit der Vergewaltigung nur ausgedacht hat. Das wollen er und Tripping dir weismachen. Und die Tatsache, dass der Postbote den Brief verschlampt hat.«
»Wahrscheinlich hast du Recht.«
»Natürlich hab ich Recht. Damit wäre Tripping total aus dem Schneider. Der hier geht jedenfalls in die Abteilung für unzustellbare Briefe. Was steht als Nächstes an?«
»Ich dachte, wir fahren hinüber zu den Chelsea Piers, um die traute Familie abzufangen, bevor sich die Anwälte des Jugendamtes verkrümeln. Wir sollten herausfinden, was heute Vormittag bei dem Treffen zwischen Dulles und seinem Vater schief lief, und wie man die Hoyts als potenzielle Eltern einschätzt.« Ich erzählte ihm, was mir Robelon gesagt hatte.
»Schöner Tag für einen Ausflug. Samstagnachmittag auf dem Fluss. Bist du dir sicher, dass du diese Woche nicht schon genug vom Wasser hast?«
»Die Sonne scheint, es ist ein herrlicher Herbsttag. Ich spendier uns Hotdogs. Und falls wir Glück haben, kriegst du ein leckeres Essen von Hoyts Schiffskoch.«
Wir verließen kurz nach ein Uhr das Büro und fuhren auf der Canal Street zum West Side Highway. »Erzähl ja meiner Mutter nicht, dass ich mit dir zu den Chelsea Piers gefahren bin. Du kennst sie und ihren Aberglauben. Aller schlechten Dinge sind drei«, sagte Mike.
»Was waren die ersten beiden?«
»Die Titanic sollte auf ihrer Jungfernfahrt an den Piers anlegen, aber dann kam ihr dieser Eiswürfel in die Quere. Und die Lusitania segelte von Chelsea auf ihrer gewohnten Strecke nach London, als das U-Boot sie erwischte.«
»Wenn man sich die Piers jetzt ansieht, glaubt man kaum, dass sie einmal der bedeutendste Passagierschiffhafen der Welt waren.« Wir fuhren nördlich zur 23. Straße, bogen auf den Hudson River Boulevard und parkten auf einem der riesigen Parkplätze.
Die Chelsea Piers, die im Jahr 1910 als Heimathafen der großen Atlantikdampfer in Betrieb genommen wurden, waren ein fantastischer Komplex, von derselben Firma entworfen, die auch die Grand Central Station erbaut hatte. Anstelle der verfallenen, verwinkelten Hafengebäude aus dem 19. Jahrhundert standen hier nun elegante, graue Bauten.
In den beiden Weltkriegen hatten die Piers als Einschiffungshafen für die in den Krieg ziehenden Soldaten gedient. In den 1960er Jahren, als der zivile Flugverkehr die meisten Ozeanüberquerungen mit dem
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