Der leiseste Verdacht
werden. Tatsache ist, dass ich bis jetzt … vor einer Stunde noch glaubte, mit einem Polizisten verheiratet zu sein.«
Aus irgendeinem Grund kamen ihm ihre Worte vollkommen unsinnig vor. Er gab ein gereiztes Lachen von sich.
»Das bist du immer noch, allerdings mit einem sehr viel reicheren Polizisten, als du gedacht hast. Ist es denn eine so schreckliche Vorstellung, zehn Millionen zu besitzen?«
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»Ich habe damit nichts zu tun, und ich will damit auch nichts zu tun haben!«, schrie sie und stürzte schluchzend aus dem Zimmer. Er hörte, wie sie die Badezimmertür hinter sich zuschlug, und widerstand der Versuchung, ihr nachzulaufen. Es war gut, dass sie sich abreagierte, dann konnten sie ihr Gespräch fortsetzen, wenn sie sich wieder beruhigt hatte.
Sonderbar leer und erleichtert, vielleicht ein wenig enttäuscht, saß er da und lächelte in sich hinein. So musste man sich fühlen, wenn man gründlich abgefertigt worden war.
Nach einer Weile ging er in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen. Er schaute in den Kühlschrank und redete sich ein, einen Schritt vorangekommen zu sein. Das Eis war jedenfalls gebrochen, und er musste sein Geheimnis nicht mehr allein mit sich herumtragen. Er verschwendete keinen Gedanken daran, dass sie ihn verraten könnte, doch ob sie ihn begleiten würde, war alles andere als gewiss. Schlimmstenfalls musste er sich eben allein auf den Weg machen. Ihn schauderte bei diesem Gedanken.
Als er sich an den Küchentisch gesetzt hatte, vor sich ein paar Butterbrote und ein Bier, erschien sie plötzlich verweint und zerzaust in der Tür.
Ehe er etwas sagen konnte, hatte sie sich ihm gegenübergesetzt und das Kinn auf die Hände gestützt. Mit immer noch zittriger Stimme sagte sie: »Okay, erzählst du mir jetzt die Details?«
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24
Montag, 15. Mai
Kriminalkommissarin Gudrun Skog aus Stockholm stand auf und schüttelte der Frau, die gerade den Raum betreten hatte, freundlich die Hand.
»Guten Tag. Nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie einen Kaffee?«
Die Frau schüttelte den Kopf und blickte sich in dem spartanisch möblierten Büro misstrauisch um.
»Ich trinke keinen Kaffee.«
»Möchten Sie lieber einen Tee?«
»Nein danke. Darf ich rauchen?«
»Ja, wenn Sie nichts dagegen haben, dass ich das Fenster öffne«, sagte Gudrun Skog und nahm einen Aschenbecher aus der untersten Schreibtischschublade.
Gisela Nordh setzte sich vorsichtig auf die äußerste Stuhlkante und fingerte nervös eine Zigarette aus der Schachtel, die sie unangezündet in der Hand behielt. Die Kommissarin sah ihre Besucherin aufmerksam an.
»Wie geht es Ihnen denn?«, erkundigte sie sich mitfühlend.
Gisela Nordhs Lippen zuckten, während sie hastig die Zigarette anzündete.
»Marianne fehlt mir. Es ist schrecklich einsam … ohne sie …
und ich habe Angst.«
»Haben Sie Angst vor Peter Enqvist?«
Gisela Nordh nickte. »Unter anderem.«
»Vor wem haben Sie noch Angst?«
»Im Moment habe ich vor allen Angst, auch vor der Polizei.«
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Gudrun Skog betrachtete die junge Frau schweigend und konnte ihre Gefühlslage gut nachvollziehen. Sie hätte ihr gern ein wenig von ihrer Angst genommen, doch ihre Aufgabe bestand darin, deren Ursachen auf den Grund zu gehen.
»Haben Sie mit Enqvist gesprochen?«
»Nur ein paarmal am Telefon.«
»Sprachen Sie auch über Marianne?«
»Ja, er hat mich angerufen, weil er sie nicht erreichen konnte.
Er fragte sich, ob ich wüsste, wo sie … Ich sagte ihm, dass sie tot … ermordet wurde … er konnte es nicht glauben.«
»War das eine ehrliche Reaktion?«
»Das weiß man bei ihm nie. Er ist anders als andere Menschen. Ich glaube, echte Gefühle kennt er gar nicht.«
»Was hat er noch gesagt?«
»Er hat mich gefragt, was die Polizei von mir gewollt hätte.
Und er hat mir gedroht, auf keinen Fall seinen Namen zu nennen. Dann hat er noch gesagt, dass in unserem Beruf immer ein Risiko besteht, dass man ermordet wird. Er glaubte, dass es einer von ihren Bekannten war, und meinte, dass ich besonders gut aufpassen soll. Als wenn er nur ein bisschen Geld verloren hätte … So hat er sich angehört.«
»Hat er irgendwelche Namen genannt?«
»Nein.«
Gudrun Skog stand auf und öffnete das Fenster ein Stück weiter. Als sie zum Tisch zurückging, wurde ihr bewusst, wie attraktiv Gisela Nordh eigentlich war. Vielleicht war es übertrieben, sie als bildschön zu bezeichnen, doch besaß sie eine eigentümliche Anziehungskraft, und ihr Äußeres, angefangen bei
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