Der letzte Agent
meine.«
»Was ist mit diesem verschwundenen Günther Schulze? Warst du auch seine Vertraute, sein Kummerkasten?«
»Nein, der Günther war irgendwie anders. Stiller, leiser, verlegener. Meinst du etwa …?«
»Ja, das meine ich. Wenn Sahmer Kummer und Angst loswerden wollte, kann es sein, dass Schulze diesen Kummer geteilt hat. Aber Schulze macht etwas anderes: Er ist plötzlich nicht mehr da, verschwunden, weg von der Bildfläche. Vielleicht hat er auch Angst gehabt.«
»Und was ist dann passiert?«
»Ich denke: Entweder ist er entkommen, oder aber er ist auch tot – und man hat ihn nur noch nicht gefunden. Wie ist seine Frau?«
»Eine Öko-Tussi, soweit ich weiß.«
»Warum sagst du das so verächtlich?«
Sie reagierte schnell und unwillig. »Weil ich diese Typen, die immer so aussehen wie schlecht verdienende Sozialarbeiter, nicht ausstehen kann.«
»Und sie sagen bestimmt von dir, du seist ein Typ aus der Brigitte, mit einem nachgemachten Leben. Na gut, wo wohnen sie?«
»In Düsseldorf.«
»Dann holen wir sie jetzt aus dem Bett.«
»Bist du verrückt?«
»Ja.« Ich war kurz vor Altenahr, ich wendete. »Haben sie dich über den Günther Schulze ausgefragt?«
»Ja, natürlich. Aber ich weiß wirklich nichts. Ich weiß eben nur, dass er vor vier oder fünf Jahren aus Ost-Berlin kam, direkt von der Humboldt-Universität. Irgendwie trickreich über Ungarn oder so. Damals war er noch nicht verheiratet.«
»Woher kommen eigentlich die Grenzow und der Sahmer?«
»Auch aus Ost-Berlin, also aus dem ehemaligen Ost-Berlin. Auch von der Humboldt-Universität. Das ist ja das, was mir jetzt Sorgen macht. Irgendwie bin ich stinksauer auf mich selbst. Ich bin nie darauf gekommen, darüber nachzudenken.«
»Clara Gütt, hüte dich vor faschistoiden Gedanken! Die Tatsache, dass die drei aus der Ostberliner Humboldt-Universität gekommen sind, besagt zunächst nichts anderes, als dass sie wahrscheinlich in ihren Spezialgebieten klasse sind.«
»Ja, aber es macht doch nachdenklich. Wenn die da drüben dauernd bei uns spioniert haben, dann kann es doch sein …«
»Mach dich nicht verrückt. Natürlich kann das sein. Es kann aber auch sein, dass absolut nichts dran ist an der Agentengeschichte, dass die Kameraden vom BND und BKA nur ein bisschen spionage-neurotisch sind. Das sind die garantiert. Jeder, der in der ehemaligen DDR Leitungsfunktionen hatte, kam zwangsläufig mit der Stasi zusammen. Beispiel: Ein Hausmeister in einem Krankenhaus soll als Held der sozialistischen Arbeit mit einer Dampferfahrt nach Kuba belohnt werden. Um zu garantieren, dass der Mann das auch wirklich verdient hat, tauchen Stasi-Agenten bei seinem Chef auf und erkundigen sich nach seiner Linientreue. Was immer der Chef auf diese Frage antwortet: Schon hat er Verbindung zur Stasi! Wir selbst haben die Hitler-Vergangenheit nur mühsam aufgearbeitet, in manchen Punkten überhaupt nicht. Und jetzt schreien wir: ›Hängt die Stasi-Schweine auf!‹ Das macht mich fertig. Welche Ausfahrt?«
»Düsseldorf-Zentrum. Was willst du sie fragen?«
»Ob sie sich vorstellen kann, wohin ihr Mann verschwunden ist. Wenn er überhaupt verschwunden ist.«
»Was heißt das?«
»Nun ja, das ist einfach. Nehmen wir an, irgendetwas hat diesen Mann zu Tode erschreckt, so dass er flüchten muss. Kann es nicht sein, dass er in seinem eigenen Keller hockt?«
»Das könnte sein«, sagte sie nach einer Weile. »Raffiniert genug ist er.«
Dann schwiegen wir. Ich schaltete den Funk ein, und jemand kam über Kanal neun mit dem Hilfeseufzer: »O Scheiße, mir ist links hinten der Reifen geplatzt. Kann jemand mir helfen?«
Eine Männerstimme fragte: »Was brauchst du denn?«
»Einen Reifen«, sagte die Panne.
»Willst du sagen, du hast keinen Reservereifen dabei?«
»Richtig.«
»Lass dich nicht von den Bullen erwischen.«
»Statt zu reden, könntest du helfen.«
»Kann ich nicht, Schätzchen, bin auf der Gegenfahrbahn.«
»Sausack!«
Clara Gütt lotste mich in die Innenstadt. Eine schmale Straße bog von der Immermannstraße ab, eine Sackgasse, an der sechs Doppelhaushälften standen. »Das letzte«, sagte sie. »Ich hab’ ein Scheißgefühl.«
»Keine Panik«, sagte ich beruhigend. Es war vier Uhr morgens. Clara klingelte Sturm, aber nichts regte sich. Sie sagte in den Lautsprecher an der Haustür: »Mensch, Selma, mach doch auf. Ich bin’s, die Clara Gütt.«
Kein Lebenszeichen.
»Was machen wir jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie
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