Der letzte Agent
also ruhiger: »Tut mir Leid, keine Aggression.«
»Warum sind Sie also hierhergefahren?«, wiederholte er.
»Weil wir dachten, dass Selma Schulze vielleicht eine Ahnung hat, wo ihr Mann ist und wohin er verschwunden sein könnte«, antwortete Clara.
»Die Kellertür war auf«, sagte ich. »Kein Licht im Haus, nur das Baby schrie. Alles, was wir angefasst haben, können wir markieren. Aber ich glaube nicht, dass dieser Mörder irgendwas berührt hat, es sei denn mit Handschuhen.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte er mich freundlich. »Weil nichts im Haus in Unordnung ist«, antwortete ich. »Im Schlafzimmer werden Sie einen Kalender finden. Da hat die Frau Eintragungen gemacht. Aus denen geht hervor, dass sie vollkommen ahnungslos war.«
»Auch das noch«, seufzte er.
»Wir möchten eigentlich nach Hause«, begann ich. »Wir sind todmüde.«
»Geht noch nicht«, entschied er knapp. »Wir haben Frau Dr. Grenzow erst einmal aus dem Verkehr gezogen. Schutzhaft. Und eigentlich dachten wir daran, dasselbe mit Frau Gütt zu tun.«
»Aber ich bin bei Baumeister zu Hause doch sicher«, wandte Clara ein.
»Ich möchte mir hinterher keine Vorwürfe machen«, erklärte er. »Aber vielleicht warten Sie noch eine halbe Stunde. Ich muss mir erst einmal den Tatort ansehen.« Er winkte der Truppe zu, und sie verschwanden gemeinsam im Haus. »Das kann er doch nicht machen«, sagte Clara zaghaft.
»Natürlich kann er das«, sagte ich. »Diese Frau ist getötet worden, obwohl sie nach der Eintragung in ihrem Kalender nicht die Spur einer Ahnung hatte.«
Es war sechs Uhr, als der Leiter der Truppe wieder zu uns kam. »Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«, bat er mich. Wir gingen in das erste Obergeschoss in einen Raum, der offenbar so etwas wie das Arbeitszimmer des verschwundenen Günther Schulze gewesen war. Wir hockten uns auf zwei Stühle.
»Was denken Sie über diesen Fall?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht. Ich stochere herum. Ich gehe davon aus, dass irgendeine massive Gefahr auf Dr. Sahmer zukam, der er auszuweichen versuchte. Ohne Erfolg. Vorher war bereits Günther Schulze verschwunden. Entweder ist er lange tot, oder aber er sah diese Gefahr ebenso plötzlich und entschloss sich zur Flucht.«
»Oder aber«, wandte er ein, »der Fall Sahmer hat mit dem Fall Schulze gar nichts zu tun.«
»Das kann auch sein«, gab ich zu, »aber wahrscheinlich ist es nicht.«
Er nickte. »Haben Sie irgendwas über diese Plastikgeschosse gehört?«
»Nicht die Spur«, antwortete ich.
»Nehmen Sie Frau Gütt mit zu sich nach Hause?«
»Ja. Vorausgesetzt, Sie lassen es zu.«
»Das lasse ich zu«, sagte er. »Wir können sowieso keinen Personenschutz stellen, wir haben keine Leute. Wir sollten etwas abstimmen: Wenn Sie etwas herausfinden, rufen Sie mich sofort an?«
»Ja«, sagte ich verblüfft.
Er lächelte. »Ich heiße Müller«, meinte er überflüssigerweise. Eigentlich war ich entlassen.
»Ich möchte doch auch eine Frage stellen. Ich möchte wissen, wie tief der Bundestagsabgeordnete Sven Sauter in dieser Geschichte steckt. Und in welchem Zusammenhang sind Sie überhaupt auf den gestoßen?«
»Routine«, sagte er nachdenklich. »Bei so einem Fall gehen wir in die Computer. Wir geben die Namen der scheinbar Beteiligten ein und kriegen vom Computer neue Namen geliefert. Wenn Sie also den Namen der Firma MICHELLE eingeben, in der der Tote und der Verschwundene beschäftigt waren, kriegen Sie den Chemiekonzern und sofort den Namen des Mannes, der dieser Firma vorstand, also Dr. Helmut Kanter. Dann kriegen Sie automatisch auch den Bundestagsabgeordneten Sven Sauter. Der war nämlich im Gesamtbetriebsrat des Konzerns und ging von dort aus in den Bundestag. Er ist ganz offiziell Teil der Lobby des Konzerns und wird ganz offiziell auch für die Beratung bezahlt. Er kriegt zweitausend netto monatlich dafür auf die Hand. Aber alles das sagt absolut nichts aus über diese geheimnisvollen Vorgänge. Will sagen: Kanter kann etwas wissen, muss aber nicht. Sauter kann etwas wissen, muss aber nicht. Wir werden nachfragen. Warum lächeln Sie so?«
»Ich frage mich gerade, ob Sie wissen, wie oft Sie gegen den Datenschutz verstoßen, wenn Sie derartige Angaben auf Knopfdruck geliefert bekommen.«
Er nickte nachdenklich. »Mag sein, aber ich habe keine Zeit, mich auch noch um Datenschutz zu kümmern. Datenschutz ist zuweilen Täterschutz, also Scheiß drauf. Ihre Personenunterlagen lassen im Übrigen darauf schließen, dass
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