Der letzte Agent
Volker nicht der tote Volker.«
»Deshalb kann man sie nicht gleich des Massenmordes verdächtigen«, sagte ich. »Man wird sie schützen, weil sie vielleicht auch auf der Liste steht. Ich habe aber noch eine Frage zu dem verschwundenen Günther Schulze: Kennst du irgendeine Person, zu der er besonderes Vertrauen hatte?«
»Nein. Das hätte ich dir längst gesagt.«
Dann gingen wir wieder ins Haus. Im Schlafzimmer war nur eine Betthälfte benutzt. Sie hatte ›Horvaths Jugend ohne Gott‹ gelesen. Da war auch ein kleiner Taschenkalender, in den sie gelegentlich etwas eingetragen hatte. Die letzte Eintragung war vier Tage alt. Sie lautete: ›Mein Gott, das ist wie ein Alptraum: Er ist weg. Er ist so schrecklich weg, als habe es ihn nie gegeben. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, warum er fortgegangen ist.‹
»Sie hatte keine Ahnung«, sagte ich. Wir gingen hinaus, setzten uns in das Auto, und ich hörte mir das Band an, das Clara aufgenommen hatte. Es war voller Ironie, dass die Männerstimmen auf dem Band genau dieselben Fragen stellten, wie wir sie uns gerade gestellt hatten. Es gab Bemerkungen, die ich nicht verstand. Zum Beispiel sagte eine junge Stimme mehrere Male: »Und ich sage euch, wenn Frau Gütt behauptet, dass sie keine Ahnung hat, dann glaube ich ihr, weil die Ukams immer so gearbeitet haben.« Was um Himmels willen waren Ukams?
Ich hörte immer wieder eine Tür mit einem bestimmten Quietschton auf- und zugehen. Dazwischen sagte Clara etwas verzerrt: »Warum soll ich Ihnen denn etwas vormachen? Ich weiß absolut nicht, was das alles zu bedeuten hat, ich weiß ja nicht einmal, was Doktor Sahmer von mir wollte. Ich glaube nur zu wissen, dass der erste Tote dieser Bekannte von Frau Dr. Grenzow war, dieser Volker. Aber das ist auch alles.« Die Tür quietschte wieder, dann meinte eine Männerstimme beruhigend: »Regen Sie sich nicht auf, Frau Gütt. Wir fragen nur, weil wir fragen müssen.« Dann Clara, hoch vor Aufregung: »Warum sagen Sie so dummes Zeug, wie ich solle mich nicht aufregen? Was soll der Quatsch? Dieser Volker ist tot, mein Chef, Dr. Sahmer, ist tot, sein Mitarbeiter Schulze verschwunden. Und ich soll mich nicht aufregen?« Dann wieder das Quietschen der Tür, dann jemand, offensichtlich am Telefon: »Verdammt, Herr Staatsanwalt, nun rauben Sie uns doch nicht den letzten Nerv. Wir arbeiten ja, oder glauben Sie, wir hocken hier und spielen Monopoly?« Dann eine andere Männerstimme: »Ich wette, dass Sven Sauter knietief in der Scheiße hockt. Und ich wette, dass er das nicht einmal weiß.« – »Sauter«, sagte eine andere Stimme, »wird doch nicht so blöd sein und sich selbst einen Agentenring ins Vorzimmer zu holen.« – »Nein, nein«, giftete eine andere Stimme, »ihr macht es euch zu einfach. Wenn Sauter etwas weiß, wird er es uns nicht sagen. Vielleicht sollten wir in Pullach anrufen, um zu erfahren, ob sie Sauter auf der Liste haben. Das könnte nützlich sein.« – »Dann mach es doch gefälligst«, schnaubte irgendjemand mit einer Bassstimme, »red nicht rum, sondern mach es. Aber ruf nicht an, geh über Fernschreiber.« Irgendwann stellte ich das Band einfach ab.
Als sie kamen, war bereits der Tag über Düsseldorf angebrochen. Sie kamen in zwei dunkelgrauen, schweren BMWs ohne Blaulicht und Trara. Es waren sieben Männer und eine Frau, und sie sahen alle übermüdet aus. Sie grüßten sehr höflich. Ein hagerer, beinahe unwirklich dünner Mann kam zu uns und sagte: »Müller ist mein Name. Danke, dass Sie uns benachrichtigt haben. Sie sind Siggi Baumeister?«
»Ja. Und sagen Sie mir nicht, ich soll mich heraushalten. Das höre ich jedesmal, und ich halte mich nie daran.«
Er hatte erstaunlich helle blaue Augen. Er sah mich an und bemerkte gelassen: »Lassen Sie uns von Beginn an keine Aggressionen schüren. Bekanntlich hilft das keinem. Ich kenne Ihre Beiträge in einigen Magazinen, und ich mag Ihre Aufrichtigkeit. Falls Sie mir in die Quere kommen, werde ich mich allerdings wehren, und ich werde unhöflich genug sein, das gründlich zu tun. Sie haben uns Frau Gütt bereits als Zeugin einen ganzen Tag lang vorenthalten, um es vornehm auszudrücken. Wiederholen Sie das bitte nicht. Und jetzt beantworten Sie mir bitte eine Frage: Warum sind Sie mitten in der Nacht hierhergefahren?«
Es war ein starker Typ, kein Zweifel. Und ich wusste nicht genau, ob er zu denen zählte, die das auch ständig wissen. Ich dachte, es sei besser, vorsichtig zu sein. Ich meinte
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