Der letzte Agent
Kontrolle geraten. Bestell ein Taxi und lass dich in ein Hotel fahren. Schließ das Haus ab und stecke den Schlüssel hinter den linken Blumenkasten. Ich komme, sobald ich Zeit habe.«
»Was ist denn?«, fragte sie besorgt.
»Keine Zeit«, sagte ich bloß und hängte ein. Dann war Müller an der Reihe.
»Dieser Harry Lippelt ist tot«, sagte ich statt einer Begrüßung. »Er hockt in der Wohnung einer Nutte, Gertrudenstraße siebzehn, Gertie Wehner. Er hat Plastik im Leib. Die Nutte müssen Sie kassieren. Nicht weil ich glaube, dass sie bösartig ist, aber weil ich sicher bin, dass sie eine Menge weiß. Also ist sie gefährdet. Und die gute Dr. Grenzow, die Ihren Leuten entwischt ist, hat durchblicken lassen, dass sie für den BND arbeitet.«
»So ein Stuss!«, sagte er heftig.
»Die Nutte hat es mir gesagt«, entgegnete ich lakonisch.
»Bleiben Sie dort?«
»Na sicher.«
»Dann müssen wir alle Beteiligten schnellstens vom Spielfeld nehmen. Die Gütt auch.«
»Schon passiert. Dann ist da aber noch etwas.« Ich zögerte, weil ich das Risiko nicht abschätzen konnte. Dann fuhr ich fort: »Diese Gertie hat mir auch erzählt, dass zumindest Sauter und Kanter irgendwie verstrickt sind. Ich habe keinerlei Ahnung, inwieweit sie wirklich was wissen; ich gebe nur zu bedenken.«
»Jetzt ziehe ich erst einmal alle aus dem Verkehr. Ich komme.« Müller legte auf.
Ich dachte, dass selbst in solchen etwas unordentlichen Haushalten eigentlich ein Fach oder eine Schublade existieren müsste, in dem man alles findet, was etwas aussagt über Pleiten, Pannen, Wohlergehen und Arbeit.
Es war die Schublade des Küchenschrankes. Da war das Übliche: Die Bundespost drohte an, das Telefon abzustellen, die Stadtwerke wollten den Strom abdrehen, der Vermieter beklagte sich über vier Monate fehlende Miete, eine Bank schrieb: ›… und waren Sie seit drei Monaten nicht mehr in unseren Räumen‹; eine Kette kleiner Katastrophen, nicht besonders, das Tagebuch eines mühsamen Lebens. Erfreuliches gab es seltener. Eine Bank schrieb immerhin ›… und freuen wir uns, Ihnen gedient zu haben.‹
Plötzlich fiel mir etwas ein. Ich ging erneut zum Telefon und rief das Forstamt in Kerpen an.
»Baumeister hier. Ich rufe aus Düsseldorf an. Hier in der Gegend gibt es einen Manager, der eine Jagd in der Eifel hat. Der Mann heißt Dr. Helmut Kanter. Wissen Sie etwas von dem?«
»Aber ja«, sagte er. »Soweit ich weiß, liegt die Jagd im Gebiet rechts der Ahr zwischen Antweiler und Schuld.«
»Das dachte ich mir«, sagte ich.
»Wieso dachten Sie sich das?«, fragte er erheitert.
»Weil das irgendwie passt«, sagte ich und hängte ein.
Dann hockte ich mich auf den Küchenstuhl und wartete.
Der Himmel über Düsseldorf war stockfinster, es begann zu regnen, und ich fragte mich, ob ich im Chaos dieser Geschichte versinken könnte, ohne jemals richtigen Durchblick zu haben.
Als Müller mit seiner Truppe ankam, stand mein Entschluss fest. Er setzte sich nach kurzer Betrachtung des Toten zu mir in die Küche. »Wir haben Kanter und Sauter in Sicherheit gebracht. Beide fluchten und beriefen sich abwechselnd auf ihren Einfluss, ihre Immunität, ihre Macht und ihr was weiß ich.«
»Haben Sie die Grenzow?«
»Nicht mal eine Spur von ihr. Ehrlich: Glauben Sie, dass sie es war?«
»Es kann sein, aber es muss nicht sein. Sie war heute morgen jedenfalls hier«, sagte ich. »Haben Sie ihre Wohnung unter Kontrolle?«
»Aber sicher. Grenzows Wohnung, Schulzes Wohnung, beide Wohnungen von Clara Gütt, Sauters Wohnung, Kanters Wohnung.«
»Ich fahre in die Eifel zurück …«
»Aber nicht in Ihr Haus. Jeder von denen, die der Mörder sein könnten, muss jetzt zwangsläufig begriffen haben, wie viel Sie wissen. Also: Ich verbiete Ihnen, zu Ihrem Haus zurückzukehren. Wohin wollen Sie denn?«
»Ich weiß es nicht. Nachdenken. Nein, wahrscheinlich will ich gar nicht nachdenken. Ich brauche einfach frische Luft, ich kann diesen Stadtmief nicht ertragen. Und ich brauche meine Freunde aus der Eifel. Die sind so vernünftig und fröhlich. Und sie denken auch noch anders als nur in Hundertmarkscheinen. Also gut, ich fahre nicht nach Hause.«
Er war der erste leitende Kripobeamte meines Lebens, der mich ohne Einschränkung arbeiten ließ und darauf verzichtete, mir dauernd gute Ratschläge zu geben. Verwirrt trollte ich mich.
Im Rheintal war die Nacht lauwarm. Ich fuhr von Düsseldorf nach Köln-Süd, von dort auf die Autobahn nach Bonn und dann in das
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