Der letzte Agent
Ahrtal hinein. Die Kneipen mit Tischen unter den Bäumen waren randvoll; die, die keinen Garten hatten, hatten ihre Tische einfach an die Straße gestellt – wohltuender Einfluss einer neuen Lebensweise, die es zulässt, etwas zu tun, ohne die zuständige Behörde zu fragen.
Über Insul und Schuld fuhr ich bis Antweiler und ging dort in das Haus ›Sophie‹, das sich ›BAR-CLUB‹ nennt und darauf besteht, genauso sauber und anständig zu sein wie die Bürgerhäuser nebenan. Ein Mädchen der dortigen sehr schnellen Truppe fragte mich, ob sie sich eine Reblaus einschenken dürfe, und da ich etwas von ihr wollte, sagte ich: »In Gottes Namen, ja.« Sie würde mir für das winzige Glas voll Spülwasser mit null Prozent wahrscheinlich fünfundzwanzig Mark berechnen. Aber wenn du Auskünfte willst, musst du bezahlen. Ich trank einen Kaffee.
»Kennt ihr hier einen Mann aus Düsseldorf namens Dr. Helmut Kanter? Der muss irgendwo hier in der Gegend ein Jagdhaus haben.«
»Weiß ich nicht«, sagte sie automatisch. Dann zögerte sie: »Doch, warte mal, da war mal so ein Typ hier, der schwer Schotter hatte. Den nannten sie alle Doktor. Ich glaube, das könnte der gewesen sein. Soll ich mal den Chef fragen? Der sitzt in der Küche.«
»Na ja, denn«, sagte ich.
Rechts von mir saß ein höchst kummervoll betrunkener, völlig farbloser Vierziger, der sich leicht vor- und zurückneigte, als habe er mit intensiven Bauchschmerzen zu kämpfen. Er starrte mich an, sah mich aber gar nicht. Er stöhnte dauernd: »O Mann, o Mann, die Weiber!« Dann kam von irgendwoher eine blonde Kühle, nahm sich seiner an, indem sie die Krallen schärfte und ihm von hinten nach vorn durch das fettige Haar fuhr. »Süßer!«, sagte sie und bemühte sich dabei zu schnurren, was eher an eine Eisenfeile erinnerte. Der Mann sagte: »O ja«, und dann verlor sich seine Zustimmung in irgendeinem Gemurmel. »Na komm her«, sagte sie und trat den Weg zu irgendeiner Liegestatt an.
Sie ging an mir vorbei, raspelte »hallo!«, nahm die Kurve um die Theke und verschwand in einem sehr gutbürgerlichen Treppenhaus mit Blümchentapete. Der Mann eilte leicht schlingernd hinter ihr her, und schon war Erleichterung in seiner ganzen Körperhaltung.
Das Mädchen von meinem Tisch kam wieder, hinter ihr ein massiger Mann. Er fragte nicht, warum ich fragte, er sagte nur: »Sie reden vom Dr. Kanter? Also der hat sein Jagdhaus auf dem Weg nach Rodder. Oben, wenn Sie auf der Kuppe sind, sehen Sie es links am Waldrand liegen. Aber der ist bestimmt nicht da.«
»Das macht nichts«, sagte ich. »Ich will ja nur wissen, wo es ist. Ich kann ihn ohnehin nur besuchen, wenn er da ist.«
»Kann ja sein, dass Harry da ist«, meinte er.
»Der Motorradfahrer, der mit der Yamaha?«
»Genau der«, sagte er.
»Der wird auch nicht da sein«, sagte ich. »Der macht Ferien.«
»Prost«, sagte das Mädchen und hob das Glas Reblaus-Ersatz.
»Ist Kanter denn oft hier?«, fragte ich.
»Geht so«, meinte der Dicke, der offensichtlich viel Zeit hatte. »Manchmal ein langes Wochenende, im Sommer manchmal Wochen. Er jagt kaum, er benutzt das Haus zu Geschäftsbesprechungen und so. Manchmal muss ich ihnen Schampus raufbringen und Cracker und solche Sachen. Ja, ja, er ist eigentlich oft hier.«
Der Mann, dem Erleichterung versprochen worden war, stieß die Tür hinter der Theke auf, wankte herein und sagte beschwingt: »Hallo!« Die Blonde hinter ihm zupfte sich das kurze Röckchen über den braunen Beinen zurecht und fixierte mich, als wolle sie sagen: »Der Nächste, bitte.«
Ich bezahlte und entschwand in der Nacht. Sünde in der Eifel ist etwas ganz Besonderes und vollzieht sich immer so, als gäbe es sie nicht.
Ich fuhr nach Rodder.
Die Straße ist schmal und kurvenreich, und selbst bei Dunkelheit konnte ich im Licht der Scheinwerfer sehen, dass die Eifel im Sommer ertrank. Ich dachte, ich hätte noch niemals so viele blassblaue Glockenblumen an einer Straße gesehen, aber wahrscheinlich war das in jedem Jahr so.
Auf der Höhe, kurz vor Rodder, sind rechts und links der Straße Weiden und Kornfelder hinter einer Barriere aus Ginster. Ich parkte und stapfte los, weil ich dachte, es sei vielleicht nicht dienlich, am Jagdhaus vorzufahren. Ich entdeckte es schließlich als einen mattschwarzen Block unter einer Kieferngruppe. Die Fensterläden waren vorgelegt, kein Laut war zu hören.
Es hatte überhaupt keinen Sinn, auf dem Feldweg nach frischen Spuren zu suchen; die Sonne brannte
Weitere Kostenlose Bücher