Der letzte Agent
Massige.
»Ja«, sagte ich, »aber leer. Neben der Tür vom Stall zur Wiese.«
»So eine Art toter Briefkasten?«
»Richtig. Vielleicht ergibt der Tod dieser Frau jetzt einen Sinn.«
Plötzlich störte mich die Leiche, plötzlich glaubte ich auch, da liege ein bösartiger Gestank in der Luft. »Ich kann hier nichts mehr tun«, sagte ich. »Ich muss aber schlafen, sonst knicken mir irgendwann die Beine weg. Ich gehe zum Stall raus auf die Wiese.«
»Schlafen? Dort schlafen?«, fragte der Rotgesichtige etwas fassungslos.
»Ja«, sagte ich. »Das Bett ist eine relativ neue Erfindung.« Ich ging also zum Stall hinaus auf die Wiese. Damit ich mich nicht in einen Ameisenhaufen legte, leuchtete ich mit einem Streichholz mein Bett ab, fand aber nichts als ein paar wunderhübsche rotblaue Teufelskrallen und legte mich daneben, um sie nicht zu erdrücken. Natürlich schlief ich nicht, natürlich hatte ich die dumpfe, drängende Vorstellung, tausend Dinge gleichzeitig in Angriff nehmen zu müssen.
Der Rotgesichtige tauchte wie ein Gebirge vor mir auf. »Ich dachte, Sie wollten uns verscheißern. Sie wollen ja wirklich schlafen.«
»Na sicher.«
»Und wenn da Blindschleichen sind und anderes Getier?«
»Na ja, die werden sich kaum gestört fühlen, die Wiese ist groß.«
»Aber es gibt doch so Tiere, die stechen und beißen. Ohrwürmer, oder wie man das nennt.«
»Sie leben im Mittelalter, junger Mann. Ich hatte mal eine Kreuzotter im Garten. Die hieß Cleopatra. Dummerweise habe ich Cäsar nie kennengelernt. Vielleicht war sie auch nur ausgerückt. Cleopatra jedenfalls lag eines schönen Sommertags, als ich im Garten ein Manuskript schrieb, auf meinem rechten, nackten Fuß. Es fühlte sich angenehm kühl an.«
»Igitt!«, sagte er angewidert, aber eindeutig fasziniert. Dann ging er fort.
Ich muss eingeschlafen sein, denn Müller stieß mich vorsichtig an der Schulter und sagte: »Ich stör’ ja ungern, aber Müller ist jetzt da.«
Dumpf erinnerte ich mich daran, dass ich immer noch Bens Wagen fuhr. Wahrscheinlich hatte er ihn längst abgeschrieben. Müller stand ziemlich bedrückt vor mir.
»Hören Sie«, sagte ich beruhigend, »fassen Sie das nicht als Ablehnung auf. Ich habe Ihnen auch garantiert nichts verschwiegen. Ich weiß nicht mehr ein noch aus, dieser Fall ist vollkommen irre. Wer hat da eigentlich wen umgebracht? Gut, das Frettchen die Selma Schulze. Aber das ist auch alles, was ich weiß. Hat der Mann noch etwas gesagt?«
»Bis jetzt nicht. Bis jetzt hat er nicht einmal zugegeben, dass irgendeiner ihm den Auftrag gegeben hat, diese wahrscheinlich vollkommen nichts ahnende junge Frau zu töten. Was fällt Ihnen zu Vera Grenzow ein?«
»Bitte nicht solche Fragen. Dazu fällt mir nämlich gar nichts ein. Hat sie sich umgebracht?«
»Mit ziemlicher Sicherheit nicht. In zwei Stunden weiß ich mehr. Sie gehen also weiterschlafen?«
»Ich muss. Ich muss abschalten, sonst sehe ich gar nicht mehr klar. Erinnern Sie sich an die Leiche Nummer eins? An den geheimnisvollen Volker?«
»O ja, die Identität ist geklärt. Er war Oberregierungsrat, hieß Walter Janzen und war vom Wirtschaftsministerium in den Chemiebetrieb des Dr. Bleibe abgeordnet worden. Er war wohl Stasi-Mann, obwohl er in deren Akten gar nicht auftaucht. Aber er war mit Sicherheit jemand, der die Gruppe hier steuerte. Er war ein Mann ohne Familie, ein idealer Spion. Aber wir haben keine Ahnung, weshalb er hier auftauchte und wen er treffen wollte.«
»Gut, bleiben wir also bei Volker. Erinnern Sie sich, dass die Untersuchung seiner Leiche ergab, dass er ungefähr eine Stunde vor seinem Tod eine Ejakulation hatte, Geschlechtsverkehr mit einer Frau? Und erinnern Sie sich, dass er mit dieser Frau den Mikrospuren nach zu urteilen in einem Bett mit stinknormalen weißen Leinen gelegen haben soll?«
»Ich erinnere mich genau.«
»Erinnern Sie sich auch, dass die Chemiker die genaue Blutgruppe der unbekannten Frau feststellen konnten?«
»O ja, aber auf was wollen Sie hinaus?«
»Es ist nur eine Idee. Aber ich glaube, er hat mit jener Frau da oben in Clara Gütts Bett gelegen. Und ich glaube auch, dass die Frau Dr. Vera Grenzow war. Und wenn ich Recht habe, sagen Sie mir bitte Bescheid.«
»Moment, Moment, wie kommen Sie darauf?«
»Das weiß ich nicht so genau. Aber wenn es so war, könnte ich wahrscheinlich das Motiv des ersten Mordes entdecken.«
»Sagen Sie es doch«, drängte er.
»Kommt nicht in Frage. Ich blamiere mich doch nicht.
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