Der letzte Agent
Rufen Sie mich an.«
Ich fuhr also nach Hillesheim, die Morgensonne brannte schon. Ich fand den weiblichen Teil meines Haushalts bei einem äußerst luxuriös aussehenden Frühstück. Aber mir war nicht nach Frühstück. Ich ließ mir ein Zimmer geben, war knurrig und schlief bald darauf ein. Ich träumte einen Traum, in dem ich ständig das unwiderstehliche Verlangen hatte zu duschen.
Als ich aufwachte, stand Anni neben meinem Bett und sagte sehr ernst: »Ich muss einmal mit dir reden.«
»Die nächste Katastrophe also«, sagte ich.
»Na ja, das weiß ich nicht«, sagte sie etwas zurückhaltend. »Also es ist so, dass ich mir gestern deinen Garten genau angeguckt habe. Und an der großen Steinmauer, wo du die alten versteinerten Korallenstämme eingebaut hast, da ist eine Kröte. Und die ist so was von hässlich und so was von groß!«
»Das ist Fritz. Und Fritz ist mein Untermieter«, sagte ich schnell.
»Na ja«, murmelte sie, »aber eklig ist er schon.«
»Ich verstehe das nicht. Soll ich dem Fritz kündigen?«
»Wenn du das so ausdrücken willst. Also, ich würde das Tier … irgendwie entfernen.«
»Nur, weil du es hässlich findest?«
»Du willst mich nicht verstehen«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Fritz bleibt«, stellte ich fest.
»Die Clara ekelt sich aber auch. Da sitzt man in der Sonne und denkt nichts Böses. Und dann sieht man ins Gras runter, und was sieht man da? Da linst einen so ein dickes, ekelhaftes Geschöpf an. Außerdem wollte ich noch fragen: Fauchen Frösche?«
»Durchaus. Wenn sie merken, dass du was gegen sie hast, fauchen Kröten. Du fauchst ja auch, wenn ich was gegen dich habe.«
»Also das Ding bleibt?«
»Das Ding bleibt.«
»Da kann man nichts machen«, seufzte sie. Als Beamtin besaß sie die erstaunliche Fähigkeit, in Sekunden ein nicht zu erledigendes Problem zu akzeptieren. »Und wie steht unser Fall?«
»Beschissen, um es einmal einfach auszudrücken. Wir haben mehrere Tote, die irgendwie mit einem scheinbar gut funktionierenden Agentenring zu tun haben. Das würde eigentlich schon reichen. Aber eigentlich ist das wohl nur eine halbe Geschichte. Ich habe eine Aufgabe für dich.«
»Welche?«
»Du musst Clara freundlich beibringen, dass ihre Freundin und Chefin, die Vera Grenzow, ebenfalls umgelegt wurde. Und zwar in Claras Wohnung. Dann musst du dich mit Clara hinsetzen. Frag sie, ob sie als gute Sekretärin so etwas wie ein Tagebuch oder ein Arbeitsbuch geführt hat. Wir werden sie dazu zwingen müssen, weit in die Vergangenheit zurückzugehen. Wir müssen ab dem 9. November 1989, also dem Tag der Maueröffnung, genau feststellen, was für Reisen ihr Chef, dieser Dr. Kanter, gemacht hat. Sie muss sich an jeden kleinen Fliegenschiss erinnern. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja.« Sie nickte. »Dann sollen wir vermutlich noch herausfinden, wohin sämtliche Dienstreisen dieser Dr. Grenzow führten, nicht wahr?«
»Genau.«
»Dann ist da noch etwas. Da hat gestern ein Mann angerufen. Die Polizei hat dein Auto freigegeben, und der Mann, der dir das verkauft hat, sagte am Telefon, das wäre nur noch Schrott. Und da es ja Vollkasko versichert wäre, bietet er dir an, sofort einen neuen Wagen in der gleichen Farbe und mit allem Drum und Dran anzumelden.«
»Ruf ihn bitte an und sage, das geht klar. Hast du darüber nachgedacht, wer eigentlich der Chef dieses Agentenringes gewesen ist? Ich meine, wer das alles gesteuert hat?«
»O ja«, sagte sie eifrig. »Meiner Meinung nach sieht das so aus, als wäre das alles aus der ehemaligen DDR gesteuert worden. Aber wenn man lange genug darüber nachdenkt, könnte man auch auf die Idee kommen, dass alles ein wenig anders war.«
»Du bist eine kluge Frau«, sagte ich.
»Das weiß ich«, sagte sie.
»Wir gehen wieder zurück in mein Haus«, erklärte ich. »Es hat keinen Sinn mehr, sich zu verkrümeln.«
Sie nickte. »Glaubst du übrigens, dass die Grenzow irgendwelche Leute erschossen hat?«
»Ich weiß es nicht. Es könnte sein, dass sie ausflippte.«
»Dann wäre sie krank gewesen.«
»Genau das.« Ich schob sie aus dem Zimmer und stellte mich unter die Dusche. Dann nahm ich das Telefon und rief Bierich in Hamburg an, Wolfgang Bierich. Er war ein Kollege, der vor Lachen explodieren konnte, er war der Mann mit der richtigen Sorte Neugier, und er war der Mann, der mir sagen konnte, ob ich auf einer guten Geschichte hockte, oder ob sie nichts taugte. Er war ein Mann, der bemerkenswert wenig sagte, aber das, was er
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