Der letzte Agent
zurückgezogen und brütete dumpf. »So gepflegte Hände«, sinnierte er vor sich hin. »Die ist doch kein Typ, sich selbst ins Jenseits zu schießen.«
»Sie war eine ziemlich Harte, und wahrscheinlich war sie auch ein bisschen krank«, sagte ich.
»Geisteskrank?«, fragte er schnell.
Ich dachte daran, dass die meisten mit einer solchen Krankheit durch das Leben gehen und nie einem Arzt auffallen. »Ich weiß es nicht genau«, murmelte ich.
Dann fragte ich mich: Was wollte Vera Grenzow ausgerechnet hier in dieser Wohnung? Ausgerechnet bei Clara Gütt? Ausgerechnet bei der Gütt, von der sie längst wusste, dass ich sie unter meine Fittiche genommen hatte und dass sie den Kripoleuten bestens bekannt war? Was hatte sie dazu getrieben, ausgerechnet hier in Ahrdorf in dieser Wohnung aufzukreuzen?
Ich überlegte, in welches Hotel sich Anni zurückgezogen hatte. Ich kam darauf, dass sie nur bei ›Fasen‹ in Hillesheim sein konnte. Also rief ich dort an. Am Telefon war eine etwas verschlafene Stimme mit dem wenig überzeugenden Anspruch, heiter zu wirken. »Ja, bitte sehr?«
»Baumeister hier. Bei ihnen schlafen vermutlich zwei Frauen aus meinem Haushalt, eine ältere Dame, eine jüngere Dame. Ich brauche die jüngere, und leider verdammt schnell. Und Entschuldigung bitte.«
»Och, das macht doch kaum die Hälfte«, sagte sie, als mache sie das jede Nacht ein paarmal. Dann war es eine Weile still. Claras Stimme klang so, als habe sie keine Minute geschlafen. »Ja, Baumeister?«
»Hör mal, ich habe ein oder zwei Fragen. Und konzentrier dich bitte. War Vera Grenzow jemals in deiner Wohnung in Ahrdorf?«
»Na sicher.«
»Wie oft?«, »Ziemlich oft«, sagte sie schnell. »Ich weiß, ich hätte dir das wahrscheinlich sagen sollen, aber ich habe nicht daran ged…«
»Ja ja, schon gut. Was heißt ziemlich oft?«
»Es war eine Frauensache, weißt du. Wenn sie total abgearbeitet war, ging sie dahin, um sich zu erholen. Wenn sie mal die verdammten Kopfschmerzen loswerden wollte auch. Dann hatte sie manchmal ziemlichen Stress, wenn sie ihre Tage … also sie hatte so eine Unterleibsgeschichte. Und dann zog sie sich dahin zurück. Aber das wusste keiner außer mir und …«
»Lieber Himmel!«, schrie ich wütend. »Du hast jahrelang nicht gemerkt, dass ein Wirtschaftsspionagering um dich herum gearbeitet hat. Okay, das können wir vergessen, das kann passieren in diesem gottverdammten Land, in dem ein Seidenfummel am Arsch wichtiger ist als ein Blick ins Gesicht. Aber dass du mir jetzt nach der Aufdeckung dieser Tatsache kein Wort darüber sagst, dass diese Vera praktisch dauernd in deiner Bude hier in Ahrdorf hockte, verschlägt mir die Sprache. Du warst doch dabei, als Schulze von der heimlichen Behausung in Mirbach sprach. Da musste dir doch ein Licht aufgehen, oder? Da …«
»Baumeister, hör auf zu schreien. Ich kenn’ mich in der Welt nicht mehr aus, ich …«
»Lass es mich sagen, weil ich sonst platze. Die liebe Vera hat dich die ganzen Jahre über beschissen. Sie hatte garantiert niemals irgendeine Unterleibsgeschichte, und ein Migränetyp war sie auch nicht. Sie war dauernd hier, weil sie hier erstens unkontrolliert war und zweitens in fünf Minuten in der konspirativen Wohnung in Mirbach sein konnte. Von hier aus konnte sie nach überallhin starten, ohne beobachtet zu werden. Während du geglaubt hast, deine Chefin kuriert ihren Unterleib, hat sie von hier aus ihre Touren machen können. Und der gute Günther Schulze ist auch nicht auf diesen Campingplatz gekommen, weil du so eine tolle Sekretärin bist, sondern weil er wusste: Wenn Vera abtauchen muss, weil Gefahr droht, kommt sie zuerst in die Wohnung der lieben Clara Gütt. Das ist des Rätsels Lösung, verdammt noch mal. Dass du das alles gewusst hast, macht mich ganz verrückt. War sie oft mit dir zusammen hier, oder meistens allein? Hatte sie einen Schlüssel? Kannte sie die Tür in den Stall von der Wiese aus? Mein Gott, hör doch auf zu weinen, Clara.«
Sie schniefte schon wieder. »Also, was willst du wissen?«
»War sie meistens alleine hier?«
»Ja. Sie hatte natürlich einen Schlüssel. Meistens bezahlte sie auch die dreihundert Mark Miete pro Monat, die das kostet. Aber ich habe sie nicht darum gebeten. Und die Tür aus dem Stall raus haben wir beide immer benutzt. Wir haben uns auf der Wiese gesonnt. Ist doch klar.«
»Überleg einmal ganz genau: Was schätzt du, wie oft sie allein in diesem Jahr hier war?«
»Also ich war
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