Der letzte Agent
wohl spurlos verschwinden können. Oder?«
Sie ließen das nachwirken, sie überdachten das sichtbar. Dann nickte der mit der schnapsigen Nase. »Das könnte so sein. Sie sind nicht zusammen mit der Frau reingekommen?«
»Nein. Die muss hier schon eine Weile liegen. Ein paar Stunden, schätze ich mal, die Totenstarre setzt bereits ein. Ich bin gerade gekommen, vor ein paar Minuten. Sie«, ich deutete auf den Massigen mit der Schnapsnase, »standen an der Telefonzelle. Und Sie«, ich meinte den Rotgesichtigen, »saßen im Wagen.«
»Wer sind Sie?«, fragte der Massige sicherheitshalber. »Baumeister, Siggi, dreiundvierzig Jahre alt, Journalist von Beruf, katholisch, nicht verheiratet. Wollen Sie nicht Müller anrufen, Ihren Chef?«
»Sollten wir«, sagte der Rotgesichtige. »Aber Sie bleiben hier.«
»Auf jeden Fall«, sagte ich. »Jetzt ist nämlich alles aus, jetzt ist das Stasi-Chaos erst richtig komplett. Jetzt wird es heiß. Jetzt weiß ich nämlich gar nichts mehr.«
»Wie bitte?«, fragten sie gleichzeitig.
»Macht nichts«, murmelte ich. »Müller ist entweder im Büro oder in Meckenheim oder noch am Tatort in der Gertrudenstraße in Düsseldorf.«
Sie sahen sich an, sagten aber nichts. Der Massige begann zu telefonieren, wobei er vermutlich mit irgendeiner Zentrale sprach, denn das, was er sagte, stammte entweder aus dem Hirn eines Verrückten, oder es war der Inhalt der Vorschriften dieser geheimen Bruderschaft. Aber das ist in diesem Fall wohl deckungsgleich.
Es klang ungefähr so: »Sechs, zwei, vier an Beta sieben. Dringend Blumen an Elsie, zwei, sechs, vierundachtzig. Dunkelblau mit Tupfen.« Ganz wörtlich weiß ich es nicht mehr, aber sinngemäß scheint es mir keinen Deut übertrieben. Dann hängte der Massige ein und starrte auf das Telefon, als könne es ihm die letzten Geheimnisse dieser Welt vermitteln. Endlich klingelte es. Er riss den Hörer von der Gabel und sagte: »Gelb, grün. Wir haben hier eine fünfundsechzig. Mit acht, eins, mit acht, eins. Fünfundsechzig mit acht, eins.«
Er lauschte, gab den Hörer an mich weiter und murmelte: »Der Chef.« Dann brüllte er wütend: »Wie konnten wir diese verdammte Stalltür bloß übersehen?«
»Baumeister«, sagte Müller etwas nervös. »Ist es …«
»Ja, es ist die Dr. Vera Grenzow. Sie liegt zwischen Sessel und Tisch auf dem Bauch. Da liegt auch eine kleinkalibrige Waffe neben ihr, sieht eigentlich ganz niedlich aus. Es sieht so aus, als hätte sie sich selbst umgebracht, obwohl ich daran zweifele. Wahrscheinlich hat sie einen Schuss in der Brust, denn unter ihrem Körper her ist Blut gelaufen. Im Tod sieht sie übrigens genauso arrogant aus wie im Leben.«
»Aber wieso haben die den Schuss nicht gehört?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ich vermute, es passierte am späten Abend. Ich vermute weiter, dass der Schuss einfach von den Treckern übertönt wurde. Hier ist zur Zeit Heuernte. Die Bauern fahren pausenlos ein. Sie wird wahrscheinlich durch die Stalltür gekommen sein, genauso wie ich. Und mich haben die auch nicht gehört. Wenn es einen Mörder gibt, wird er auch durch die Stalltür gekommen sein und …«
»Verdammt noch mal«, brüllte er, »wieso denn ausgerechnet in der Güttschen Wohnung? Na gut, die kannten sich, na gut, die waren so was wie Freundinnen. Aber was wollte die Grenzow an diesem Abend da?«
»Das weiß ich wirklich nicht«, sagte ich. »Ich frage die Gütt. Wenn ich etwas von Wichtigkeit erfahre, rufe ich an. Kommen Sie jetzt hierher?«
»Na sicher«, sagte er. »Falls ich nicht unterwegs einschlafe oder einen Infarkt kriege. Wissen Sie eigentlich, dass das die fünfte Leiche ist?«
»Ja«, sagte ich, »ich weiß. Ich melde mich. Sagen Sie aber Ihren beiden Männern hier, dass ich kein Mörder bin, oder was auch immer. Sonst nehmen die mich nämlich fest.« Ich reichte dem Massigen wieder den Hörer, und er hörte steinern zu, schloss nur die Augen, weil ihm Müller wahrscheinlich ein schnelles Ende seiner Karriere voraussagte.
Ich hockte mich auf einen Küchenstuhl und versuchte, nicht in Hektik zu fallen. Was war jetzt eigentlich wichtig? Wen konnte es jetzt treffen? Und an wen konnte ich mich wenden, um irgendetwas zu erfragen? Ich hatte etwa zweieinhalbtausend Fragen im Hirn. Aber das ist ziemlich sinnlos, wenn die Menschen, die du fragen kannst, alle tot sind.
Der Massige ging in die Knie und betrachtete die tote Vera Grenzow. Der Rotgesichtige hatte sich auf einen Schemel neben das Bett
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