Der letzte Agent
Weihnachten, Ostern und Pfingsten kurz hier. Ja, und dann jetzt. Sie war, schätze ich mal, so sechs-, sieben-, nein warte, eher acht- bis zehnmal da. Übers Wochenende meistens.«
»Sie schlief dann in deinem Bett?«
»Natürlich.«
»Und sie hat sich richtig vergraben und sich erholt?«
»Ja, dachte ich zumindest, aber was ist denn überhaupt los? Wo bist du denn eigentlich?«
»Schon gut«, sagte ich und hängte ein.
Dann hockte ich da und starrte die Wände entlang, während mich die zwei musterten, als sei ich eine ihnen vollkommen unbekannte Rasse.
»Mann«, meinte der Massige, »Sie können aber gut brüllen!«
»Manchmal muss man das eben«, murmelte ich. Ich war wütend auf mich, weil ich Clara so beschimpft hatte, obwohl ihre Welt so kläglich zerbrochen war.
»Wer war denn das?«, fragte der Rotgesichtige.
»Clara Gütt«, antwortete ich. »Müller kennt sie bereits. Sie ist unser Kummerkind.«
»Dass die das alles nicht gemerkt hat, will mir nicht in den Kopf«, meinte der Massige und rieb sich nachdenklich die Schnapsnase.
»Es muss hier sein«, sagte ich, als hätte ich ihn nicht gehört.
Der Massige sah mich an und erklärte leutselig: »Das kenne ich. Sie sind überarbeitet. Ich kenn’ das. Die Leiche liegt da hinter dem Sessel. Immer noch. Sonst ist hier nichts. Nichts Auffälliges.«
»Es muss aber da sein«, sagte ich.
»Was muss da sein?«, fragte er im Ton eines Arztes, der einen Irren zu befragen versucht.
»Ich weiß es nicht«, murmelte ich geistesabwesend.
»Vielleicht das Christkindchen«, sagte der Rotgesichtige. Er war sowieso wütend auf mich. »Sieh doch mal unter dem Tisch nach. Vielleicht hockt es da, das Christkindchen.«
Der Massige begann zu begreifen, dass ich es durchaus ernst meinte. Er winkte ab. »Lass ihn doch mal. Was meinen Sie, was muss hier sein?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Diese Tote da ist wahrscheinlich hierhergekommen, um hier etwas zu holen, was ihr gehört, und von dem niemand wusste, dass es ihr gehört. Denke ich.«
»Aha!«, sagte er verständnisvoll. »Das werden wir finden. Wir stellen sowieso die ganze Bude auf den Kopf, wenn die Spurenfritzen erst einmal abgezogen sind.«
»Ja, ja, das weiß ich«, sagte ich.
Im gleichen Moment wusste ich auch, dass die Dr. Vera Grenzow so etwas auch gewusst hatte. Man hatte sie als Spionin geschult, tiptopp geschult. Nichts ausgelassen, von der Geheimtinte bis hin zum Anlegen toter Briefkästen.
»Wir werden das schon finden«, sagte der Massige, der mittlerweile die zehnte Zigarette rauchte. »Ist eigentlich kein Bier hier, oder was?«
»Na, na«, sagte der Rotgesichtige mahnend.
»Man wird doch fragen dürfen«, sagte der Massige.
»Im Eisschrank«, sagte ich. »Im Eisschrank sind Bier und Schnaps.«
»Das dürfen wir nicht, das zerstört Spuren«, sagte der Rotgesichtige.
»Wie Sie wollen«, sagte ich.
Was war hier ein perfekter toter Briefkasten? Hier in diesem Raum? Glatte weiße Raufasertapete, auch an der Decke. Nirgendwo ein Schatten, nirgendwo ein Stück Klinkerwand, aus der ein Stein gelöst werden konnte. Keine Dielenbretter, statt dessen Linoleum, farbloses Grün, darauf einfache Teppiche.
Die Treppe?
Ich ging hinaus und machte mir das Licht an. Es war eine einfache Holztreppe, jede Stufe konnte ein Fach sein. Aber ich dachte daran, dass man den Spionen auch beibringen würde, in alten Bauernhäusern an zundertrockenes Holz und Blitzschlag zu denken. Also auf keinen Fall in der Treppe.
Im Keller? Ich fand keinen Eingang zu einem Keller. Wahrscheinlich war dieser Teil gar nicht unterkellert. Im Stall? Dort galt sicher das Gleiche, was auch für die Treppe galt. Ich musste nach einer Möglichkeit suchen, Unterlagen schnell und trocken und feuersicher so zu verstecken, dass man jederzeit daran konnte – auch dann, wenn Clara Gütt in der Wohnung war.
Natürlich!
Ich ging auf die Wiese hinaus, drehte mich um. Unten am Mauersockel, unmittelbar neben der Tür lag ein schwerer Basaltbrocken etwas wacklig an der Mauer. Ich kippte ihn nach vorn, er rollte ins Gras. Dahinter war eine ganz normale Metallplatte, eingelassen in eine Schiene – dieselbe Vorrichtung, wie sie ein Schornsteinfeger braucht, um in den Kamin zu kommen.
Hier aber war kein Kamin. Ich schob die Platte nach oben, der Hohlraum dahinter war leer – ausgeräumt.
Ich ging zurück zu Clara Gütts Wohnung, wo die beiden saßen und sich tatsächlich ein Bier genehmigten.
»Gefunden?«, fragte der
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