Der letzte Agent
Ich fürchte, Ihr Exmann steckt knietief im Dreck.«
»Komisch«, sagte sie und fummelte an einem blühenden Rittersporn herum, »ich habe mich neulich noch gefragt, wann das wohl sein wird, wann er endlich auf die Nase fällt. Sind Sie von der BILD?«
»Oh, nein.«
»Sind Sie … von wem sind Sie denn?«
»Freiberuflich. Ich komme sozusagen in persönlichem Auftrag. Aber das geht hier im Vorgarten schlecht.«
»Wir gehen rein«, sagte sie rasch. »Kinder, benehmt euch.«
Drinnen herrschte das gleiche liebenswerte Chaos wie draußen, nur ein Schlammloch fehlte.
»Wollen Sie einen Tee?«
»Gerne. Ich setzte mich auf einen uralten Ledersessel.«
»Ich muss von Beginn an sagen, dass ich nicht hier bin, um Punkte gegen Ihren Mann zu sammeln. Ich bin eher hier, um herauszufinden, was er ist und was er nicht ist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich komme auch nicht mit einem Skandal, ich komme mit einer ziemlich leisen Geschichte, von der die meisten Menschen bisher nicht einmal wissen, dass es sie gibt. Aber sie kann Ihren Mann Amt und Würden und Bargeld kosten. Wenn Sie nichts dagegen haben, erzähle ich zunächst die Geschichte, wie ich sie erlebt habe. Dann können wir sprechen. Okay so?«
Sie war eine mollige, sehr fraulich hübsche Blonde mit strähnigen Haaren in einem vollkommen formlosen Kleid und nackten Füßen in Gesundheitslatschen. Sie war der Typ, der ohne Rücksicht auf das eigene Aussehen ständig den Mund spitzt und leicht zur Seite durch die Zähne bläst, um die Haarsträhnen aus dem Gesicht zu pusten. Sie war mit Sicherheit der Typ, der einfach zur Papierschere griff und sich die widerspenstigen Strähnen abschnitt, wenn sie das Pusten leid war.
Ich berichtete also, ich ließ nichts aus, ich zeigte ihr meine Hilflosigkeit, ich demonstrierte Abscheu, Neugier, Wut und sämtliche großen Fragezeichen, die sich angesammelt hatten. Ich machte ihr nichts vor.
Anfangs rauchte sie ruhig, hörte mir zu, schlürfte von dem Tee, starrte aus dem Fenster, lauschte ihren Kindern. Dann wurde sie unruhig, drückte die Zigarette aus, zündete sich eine neue an, zündete sich eine zweite an, war verwirrt über die zwei brennenden Zigaretten, sagte aber kein Wort.
Als ich geendet hatte, murmelte sie. »Ich brauche einen Kognak«, und goss sich einen ein. Dann fragte sie: »Wo werden Sie das veröffentlichen?«
»Mit ziemlicher Sicherheit im ›Spiegel‹«, antwortete ich. »Ich kann nichts schreiben, noch nichts. Ich stochere herum, weil ich wie immer bei solchen Geschichten die Hoffnung nicht aufgebe, dass ich einem Menschen begegne, der die Zusammenhänge einigermaßen befriedigend erklären kann.«
»Die Geschichte klingt so, als ob einer wahnsinnig ausgeflippt ist«, überlegte sie, wieder ganz gefasst. »Und es ist gar nicht erkennbar, dass Sven irgendetwas damit zu tun hat. Sie sagen doch selbst, er hat behauptet, er habe keine Ahnung von den Hintergründen.«
»Genau das glaube ich nicht«, widersprach ich. »Es kann sogar sein, dass Ihr Mann den ganzen Hintergrund kennt, ohne zu wissen, was er da eigentlich weiß. Ihr Mann wird als jemand beschrieben, der dauernd um Kanter herum kreist, man nennt ihn sogar dessen Satelliten. Das bedeutet zwangsweise, dass er sehr viel von Kanter weiß …«
»Das klingt ja so, als verdächtigen Sie Kanter?«, fragte sie schnell.
»Durchaus nicht, oder einfacher: Das ist mir wurscht. Ich versuche nur, Klarheit zu bekommen. Frage also: Hat Ihr Mann Kanter oft auf dessen Geschäftsreisen begleitet, und wenn, wohin?«
»Sven war eigentlich dauernd dabei. Mal hierhin, mal dorthin, vor allem aber zu den Wirtschaftsgesprächen im Ostblock. Kanter, sagte er immer, ist meine Lokomotive. Das heißt: Kanter musste diese Ostblock-Bosse treffen und nahm Sven als seinen persönlichen Berater mit. Natürlich wusste jeder, dass Sven tatsächlich Bundestagsabgeordneter war. So kamen politische Verbindungen über den Umweg der Wirtschaft zustande. Als zum Beispiel die Mauer fiel, hatte Sven in der Ex-DDR bereits jede Menge Verbindungen.«
»Also mit anderen Worten: Wenn dort etwas ist, was zu verschweigen wäre, dann müsste Ihr Mann es wissen. Oder soll ich besser Ex-Mann sagen?«
»Müssen Sie nicht«, sie lächelte ein wenig müde. »Wir haben uns getrennt, weil unsere Ehe sinnlos geworden war. Er war Bundestagsabgeordneter und hatte so viel zu tun, dass keine Zeit blieb für die Kinder und für mich. Ich trage ihm nichts nach, er hat sich so entschieden, er kommt
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