Der Letzte Askanier
Meinhard ein solcher Wolf war. Er war ihr großes Glück, aber zugleich war es schmerzlich zu wissen, daß sie allein ihm das Leben verdankte und immer von ihm abhängig bleiben würde. Eine eigene Existenz hatte sie nicht, vielleicht auch nie gehabt. Jetzt stand sie hier und wartete, daß er zurückkam von der Fürstenversammlung. Dann wartete sie, daß er sie zurückbrachte nach Prag. Anschließend ging er wahrscheinlich nach München, und sie wartete, daß er wieder einmal Zeit und Lust hatte, nach Prag zu kommen. Doch was sollte sie dagegen tun? Die Welt war so, wie sie war, und weder der eine Gott konnte sie ändern noch der andere, denn, so schien es ihr, nicht Gott hatte die Menschen gemacht, sondern die Menschen machten sich ihre Götter – und zwar so, wie sie's gerade brauchten. Also war man verloren, ob man nun die Thora, den Koran oder die Bibel zu Hause hatte. Sie mußte an ihren Vater denken, den sie erschlagen hatten. Sie fluchte Gott.
Tränen liefen ihr über die Wangen. Zugleich aber war sie in einem Maße glücklich, daß sie bebte. Sie lebte noch, sie liebte Meinhard, sie hatte ein neues Zuhause in Prag. Also dankte sie Gott. Sie wollte und konnte nur eins, hatte aber beides zugleich: Glück und Elend.
Sie wünschte sich, wie die Gräfin Loretta von Sponheim zu sein. Die hatte vor zweiundzwanzig Jahren den Trierer Erzbischof Balduin entführt, um ihn nach dem Tode ihres Mannes zur Anerkennung ihrer Rechte zu zwingen. Hatte einfach auf dem Rhein sein Schiff gekapert und ihn auf ihre Burg gebracht. Freigekommen war er erst, nachdem er Lorettas Vertrag unterschrieben hatte.
Mit solchen Träumereien vertrieb sie sich die Zeit. Als Meinhard dann zurückkam von der Versammlung der Fürsten, ließ sie sich nichts davon anmerken. Er hätte auch kein Ohr dafür gehabt, so sehr war er bei den Geschehnissen des Tages und dem Schicksal Waldemars. Der war nicht selber erschienen, sondern hatte seine Sache von anderen vertreten lassen, als da waren: Herzog Rudolf der Ältere von Sachsen, seine Söhne Rudolf und Otto, die Fürsten Albrecht und Waldemar von Anhalt, der Erzbischof Otto von Magdeburg und die Grafen Albrecht von Barby und Ulrich von Lindow.
»Und warum ist er nicht gekommen?« wollte Leah wissen.
»Warum denn wohl: Aus Angst, entlarvt zu werden.«
»Nicht doch: In Heinersdorf ist er doch auch gewesen und in Köln – und immer ohne Angst. Krank wird er sein.«
»Wie auch immer: Komm, pack deine Sachen, wir gehen nach Bautzen, wo der König Quartier genommen hat.«
»Will er die Sache da entscheiden?«
»Wir und die askanische Partei haben uns geeinigt, den König von Schweden als Schiedsrichter einzusetzen.«
Am 6. Februar 1350 hatte sich bei Karl IV. in Bautzen eine erlesene Gesellschaft versammelt. Neben der oben erwähnten askanischen Partei waren dies sein Bruder Johann, welchem er Mähren abgetreten hatte, der Pfalzgraf Ruprecht der Ältere, die Markgrafen Friedrich und Balthasar von Thüringen und Meißen, die schlesischen Herzöge, der Bischof von Olmütz und eine Menge deutscher und böhmischer Großer und Edler, wie zum Beispiel Heinrich von Kökkeritz, Johann von Cottbus, Henning von Godebuz, Nikolaus Balke von der Liesenitz oder Dippolt von Schonefeld, dann natürlich Ludwig, zu dessen Partei neben Meinhard unter anderem auch Friedrich von Lochen, sein Feldhauptmann, und Wilhelm von Bombrecht, sein Hofschenk, gehörten, sowie neben vielen anderen auch König Waldemar von Dänemark.
Karl, so Meinhards Bild, brachte die Zusammenkunft zu Bautzen und das Verfahren gegen Waldemar hinter sich wie einen Geschlechtsakt mit einer widerlichen Frau, die er nur geehelicht hatte, um an ihre Ländereien zu kommen. Er war sehr ungehalten darüber, daß sie in den Vorverhandlungen zu Spremberg den schwedischen König zum Schiedsrichter des Streites zwischen Wittelsbach und Askanien auserkoren hatten.
»Was soll das!? Dadurch habt Ihr dem Reiche Schaden zugefügt. Die Mark Brandenburg ist schon seit langem Eigentum des Römischen Reiches – und nur mir gebührt es, in diesem Streite Recht zu sprechen, aber keinem fremden Fürsten. Euren Spremberger Vorvertrag erkläre ich hiermit für nichtig. Und für mich sind es die Helfershelfer des sogenannten Waldemar gewesen, die das eingefädelt haben.«
»Das ist doch so nicht wahr!« protestierte Albrecht von Anhalt. »Ihr seid sehr übelwollend gegen uns.«
»Unterbrecht mich nicht!« Meinhard hatte Karl noch nie so zornig gesehen. »Ihr habt
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