Der Letzte Askanier
schritt auf die Neue Synagoge zu, wo Baruchs Tochter Leah auf ihn wartete. Als er sie erblickte, packte ihn dieselbe Erregung wie damals in München, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er küßte sie.
»Nun, bist du beim König gewesen?« wollte sie wissen.
»Nein, er ist erst am Nachmittag für mich zu sprechen.«
»Dann komm, essen wir zu Hause.«
Leah wohnte bei Anschel Jakubowitsch, einem entfernten Verwandten väterlicherseits, dessen Redefluß Meinhard krankhaft schien.
»Nun, habt Ihr die Neue Synagoge gesehen, sehr schön, 1270 erbaut. Die Pinkas-Synagoge ist noch älter, 11. Jahrhundert. Sind wir schon über tausend Jahre hier mit unserem Warenlager. Hat uns ein Przemysliden-Fürst zu Dienern der Königskammer gemacht, Ottokar II., im Jahr 1254. Nu, ist das was oder nicht?«
Meinhard mußte lächeln. »Schon, denn damit waren alle Juden Eigentum des Königs geworden und somit sicher vor Raub und Mord, andererseits aber haben sie mit ständigen Sondersteuern den Herrschern auf dem Hradschin die Kassen füllen müssen.«
»Und als die Kreuzfahrer hier waren, da hieß es: Taufe oder Tod«, fügte Leah hinzu.
»Nu …« Anschel Jakubowitsch breitete die Hände aus und zeigte auf die Baustelle neben seinem alten Holzhaus. »Karl hat uns viel versprochen: Zwölf Jahre ohne Steuern, wenn wir ein Haus aus Stein bauen. Und das tue ich. Es wird viel Handel und Wandel geben in Prag, denn sein Gott hat ihn lieb.«
Meinhard sah den Geldverleiher fragend an.
»Nun, habt Ihr nicht gehört, daß Karl in Nürnberg gewesen ist?«
»Schon, aber …«
»Hat er da eine Seherin getroffen, die Christina Ebner. Und die berichtet, Reb Moische hat es mir erzählt, von der Stimme Gottes, die ihr gesagt hat von Karl, er wäre ein Erbe seines ewigen Reiches, und ihr dann versichert hat: ›Ich hab ein Feuer, ein Licht in ihm entzündet, und ich hab das Himmelreich bei ihm aufgeschlossen.‹«
Damit schloß er die Tür seines alten Hauses auf, und sie gingen hinein, um sich am reichgedeckten Tisch niederzulassen. Meinhard stieg mit gemischten Gefühlen zur Prager Burg hinauf. Einerseits war er Vertreter und Vertrauter Ludwigs und hatte treulich die Interessen des Freundes zu vertreten, andererseits aber drängte es ihn, in Karls Dienste zu treten und in der Nähe eines Mannes zu leben, der sich anschickte, der Neuzeit seinen Stempel aufzudrücken. Kam dazu, daß Leah hier in Prag schon heimisch geworden war. Vielleicht belehnte Karl ihn eines Tages für treue Dienste mit einem kleinen Gut vor den Toren der Stadt.
Das waren seine Gedanken und Träume, als er die große Baugrube passierte, aus der sich bald der mächtige St.-Veits-Dom erheben sollte. Als er den Königspalast erreichte, wurde er, was ihm sehr schmeichelte, schon an der Pforte von Karls engstem Vertrauten erwartet.
»Schön, daß Ihr kommt«, sagte Kochan von Wersowetz.
»Ich freue mich immer, Euch zu sehen. Wie geht es dem König?«
»Einerseits ist er in Hochstimmung, weil er ja – wie Ihr wissen werdet – glücklicher Vater eines Sohnes geworden ist, also endlich einen Thronerben hat.«
»Wobei zu betonen ist, daß das ohne unsere Hilfe nicht gegangen wäre«, lachte Meinhard, denn Anna, Karls zweite Frau, kam aus der pfälzischen Linie der Wittelsbacher.
Doch Kochan war nicht zu Scherzen aufgelegt. »Andererseits steht es mit seiner Gesundheit nicht zum besten. Nun ja …«
Meinhard erschrak. Bei all seinen Plänen hatte er vergessen, was die Leute schon seit langem tuschelten: Man sprach von einer rätselhaften Krankheit mit Anfällen und Krämpfen. Sie sei die Folge eine Liebestrankes, welchen ihm seine Frau kredenzt habe, um ihn fester an sich zu binden und von anderen Frauen abzuhalten. Dabei habe sie wohl ein wenig zu viel des Guten getan. Andere wieder vermuteten einen Anschlag des böhmischen Landadels oder seines jüngeren mährischen Bruders. »Ist also an den Gerüchten etwas dran?«
»Es ist nichts weiter als die Gicht«, erwiderte Kochan von Wersowetz. Doch wie er das sagte, klang es eher nach Diplomatie als nach einem ärztlichen Urteil.
Als Meinhard dann vom König in der Grünen Stube empfangen wurde, die ansonsten wohl als Gerichtssaal diente, saß Karl mit gekrümmtem Rücken und gesenktem Kopf da und sah aus, als wollte er eine Tür einrennen. Dies kam Meinhard seltsam vor, denn Karl IV. war eher klein und zerbrechlich. Vierunddreißig Jahre war er erst, 1316 geboren, hatte aber einen greisenhaften Zug an sich und
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