Der letzte Aufstand
die Videodateien selbstständig gezippt hatte, so dass sie ein Minimum an Platz benötigten. Guillaume hatte die entsprechenden Tage, die Lea und Kahil angegeben hatten, auf einen zwei Giga-Memory-Stick kopiert und das war‘s.
Und jetzt sassen sie jeweils zu zweit vor dem Bildschirm und versuchten irgendetwas Auffälliges auszumachen, was nicht so einfach war, weil in dem Bistro doch so einiges los war; andauernd gingen Leute ein und aus und die Bedienung flitzte durch das Bild wie eine arbeitsame Honigbiene. Das System hatte zwei Kameras, welches die Szenen aus zwei verschiedenen Winkeln darbot und eine so geniale Superauflösung hatte, so dass man bei Bedarf sogar auf die Bartstoppeln eines unrasierten Kunden einzoomen konnte, wenn man wollte.
Die ersten vier Stunden der Aufnahmen waren von Lea und Kahil unter die Lupe genommen worden, was genau zwei Stunden gedauert hatte, weil sie die Aufnahmen in doppeltem Tempo angeschaut hatten. Und jetzt waren Guillaume und Yeva seit etwas mehr als einer Stunde daran, was bedeutete, dass sie zwei weitere Stunden überprüft hatten. Doch auffällig war so weit gar nichts gewesen.
Guillaume war gerade daran aufzustehen, um Teewasser aufzusetzen, als Yeva ihn am Ärmel festhielt. „Warte!“
Er drehte sich dem Bildschirm zu.
„Ist das nicht Jean?“
Man sah einen schlanken Mann im Anzug mit schwarzen kurz geschnittenen Haaren, der aber von beiden Kameras aus nur seitlich oder von hinten zu sehen war.
„Beweg dich, Mann!“, sagte Guillaume zu dem Mann auf der Aufnahme.
Eine Minute später drehte er sich. Yeva und Guillaume schauten sich an, wie geohrfeigt. Sie hatten Tom Varese, Mien Dang Gao oder Takashi erwartet, aber sie hatten Jean gefunden. Was sollte das? Ohne eine Minute zu verlieren, benachrichtigten sie Lea und Kahil, die sofort in das kleine Bürozimmer kamen.
„Ihr macht Witze, oder?“, sagte Kahil kaum war er im Zimmer.
„Keine Witze. Das ist Jean Vurieux, oder nicht?“
Das Bild auf dem Monitor stand still. Gestochen scharf waren die Konturen von Jean zu sehen.
„Ja, das ist wirklich Jean!“, sagte Lea.
Yeva lehnte sich in ihrem Sessel zurück und verschränkte die Arme. „Irgendetwas entgeht uns, und zwar total.“
„Was hat denn die Besitzerin für einen Eindruck gemacht? Ist sie auffällig?“, fragte Kahil.
„Du meinst, ob sie wie eine Giftmischerin aussieht?“
„Zum Beispiel ...“
Yeva schaute kurz zu Guillaume. Dieser schüttelte den Kopf.
„Nicht wirklich. Sie steht wohl kurz vor ihrer Pensionierung und scheint sehr stolz auf ihren Laden zu sein. An den Wänden hängen Fotos diverser Berühmtheiten, die in den letzten vierzig Jahren das Bistro besucht haben. Meiner Meinung nach ist die Frau koscher.“
Guillaume zückte sein Handy hervor. „Vielleicht ist es besser, wir schauen trotzdem etwas genauer in den Laden und seine Geschichte hinein. Ich ruf mal unseren Support an. Die sollen uns eine Akte über die Besitzerin und das Bistro zusammenstellen, ja?“
Er wartete die Antwort nicht wirklich ab, obwohl die anderen leicht zeitverzögert nickten. Guillaume verliess das Büro mit dem Handy am Ohr.
„Was gibt es denn sonst noch für manipulative Techniken, die man anwenden kann, um normale Bürger zu Terroristen zu machen?“, fragte Yeva.
„Viele ...“, antwortete Lea. „Aber in jedem Fall muss der Manipulierende mit den Kunden gesprochen haben. Ich denke, es ist das Beste, wenn wir die Aufnahmen erstmal bis zum Ende durchschauen, und dann schliessen wir uns kurz. Ich möchte lieber zuerst alle Fakten auf dem Tisch haben, bevor wir uns in ein heiteres Rätselraten begeben.“
„Du hast Recht ...“, sagte Yeva. Sie rollte sich in ihrem Bürostuhl wieder näher an den Tisch heran.
„Wir beginnen in fünf Minuten mit der ersten Gruppenstunde. Mal schauen, ob wir dort etwas mehr heraus bekommen können.“
Kahil klopfte Yeva aufmunternd auf die Schulter. „Viel Spass beim Fernsehen!“ Dann verliess er das Zimmer. Lea lächelte Yeva zu und ging ihm nach.
Gruppenstunde
Wie eigentlich zu erwarten, tauchten nicht ganz alle Kunden für das Gruppengespräch auf. Vier Stühle waren leer geblieben, unter anderem der von Tom Varese, der sich noch nicht damit abgefunden hatte, dass seine Mission vorbei war. Aber das war nicht gross erstaunlich. Die Gruppenstunden, die neu stattfanden, waren freiwillig und niemand wurde zum Mitmachen gezwungen.
Lea und Kahil betraten den Raum gleichzeitig; sie hatten einen
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