Der letzte Aufstand
ich dich in einen Minderwertigkeits-Anfall geschubst habe. In der Pause fordere ich dich heraus! Drei Match-Spiele auf einundzwanzig und du wirst alle drei verlieren!“
Kahil ging zu Jean heran und klatschte ihm auf den Rücken.
„Herausforderung angenommen! Dich mach ich kalt!“ Dann setzte er sich auf den Stuhl, auf dem Mien Dang Gao gesessen war.
„Denkt ihr, da ist was dran?“, fragte er die Gruppe.
„... dass wir die Anschläge geplant haben, weil wir nicht genug stark waren und zu wenig Lebenskraft haben?“, fragte Takashi.
Kahil nickte.
Einen Moment lang war es still. Lea setzte sich neben Jean, der mittlerweile auch Platz genommen hatte.
„Ich habe keine Ahnung. Aber eines weiss ich ...“, sagte Jean.
„Und zwar?“, fragte Lea.
„Diese Idee zog Gedanken in mir an, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gab. Und sie kam mit einer Macht und Dringlichkeit daher, die ich so von mir nicht kenne. Ich bin nicht unbedingt ein Willensmensch, eher eine Flasche, wenn es darum geht Ziele zu verfolgen. Wenn ich mir etwas vornehme, weiss ich eigentlich von Anfang an, dass ich es nicht durchziehen werde, aber das - ausgerechnet das - habe ich durchgezogen, als handle es sich um einen heiligen Auftrag. Diese Verbissenheit habe ich in meinem Leben sonst noch nie an den Tag gelegt!“
„Und diese Idee hast du nicht langsam entwickelt und ausgefeilt, sondern ganz plötzlich gehabt?“
„Sie kam über mich wie eine Lawine. In dem Bistro, das ich erwähnt habe ...“
Jean schnipste mit den Fingern und schaute zu Kahil. Dieser verstand und warf ihm den Ball zu. Takashi währenddessen sass plötzlich steif auf seinem Stuhl und hatte seine japanische Geistesgegenwart verloren. Er schien auf einmal in einer anderen Welt zu sein. Er war bleich, was seiner orientalischen Haut einen grauen Ton verpasste.
„Alles in Ordnung, Takashi?“, fragte Kahil.
Takashis Augen blickten in die Ferne seiner eigenen Gedanken. Dann, langsam, drehte er seinen Kopf Jean zu.
„Du hast die Idee in einem Bistro gekriegt?“, fragte er.
Jean nickte, während er den Ball in den Händen hin und her drehte. „Ja, alles war mir ganz plötzlich klar: dass es so nicht weiter gehen konnte, dass ich etwas tun musste, weil alle anderen zu feige waren, und dann war da diese plötzliche Lust am Planen eines Anschlags. Es war ein Bistro an der Rue Balzac ...“
„Rue Balzac.“, wiederholte Takashi den Strassennamen.
Kahil stand auf.
„Ihr seid zu viert ... Jean, Mien Dang Gao, Tom Varese und du, Takashi, ihr habt die Idee für einen Anschlag alle ganz plötzlich in dem selben Bistro an der Rue Balzac geboren. Und zwar am selben Tag. Meine Kollegen gehen gerade jetzt die Aufnahmen der Security Kameras des Bistros durch. Etwas ist da mächtig faul ...“
Takashi blieb noch einen Moment sitzen, dann stand er auf und verliess das Zimmer. Er war den Tränen nah.
☸
New York, 9 Tage nach „Tag X“
Das Flugzeug würde in fünf Minuten landen. Der Pilot der Boeing forderte die Passagiere auf, ihre Sicherheitsgurte festzuschnallen und informierte sie über die Temperatur und das Wetter am Boden. Pete sass neben einer alten Frau, die alle zehn Minuten ein Hustenbonbon laut raschelnd aus der Packung schälte, und war mittlerweile so gereizt, dass er selbst fast zum Terroristen geworden wäre. Sechs Stunden lang hatte sie den Hustenbonbon-Trick durchgezogen. Konnte man denn überhaupt so viel Husten haben? Doch das war nicht das einzige, was Pete nicht in den Kram passte.
Es war eigentlich ganz einfach, hatte er während des Fluges herausgefunden. Sein Leben hatte in Paris jeglichen Sinn verloren. Man hatte ihm Livia weggenommen und nichts, egal wie viel Gedankenkraft er aufbrachte, nichts würde Livia wieder zurück in sein Leben bringen. Nichts, ausser die Zeit. Doch Pete glaubte mit keiner Faser seines Seins an die Ehrlichkeit von Henk oder Tam oder Terry und daran, dass sie Livia nach drei Jahren wieder frei lassen würden. Sie hatten ihn nur verarscht. Von Anfang an nur ihre eigenen Interessen verfolgt und ihn wie eine Schachfigur strategisch so eingesetzt, dass er ihren eigenen Zielen diente. Sie würden Liv behalten, ausnützen und letzten Endes wahrscheinlich einer so drastischen Gehirnwäsche unterziehen, dass sie selbst nicht mehr wusste, wo sie hingehörte und wer sie war.
Pete hatte gehofft, dass sein Flug von Terroristen abgeknallt werden würde, damit er seinem Leben nicht selbst ein Ende bereiten
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