Der letzte Befehl
Gleiche. Wie ein Wirbelsturm, gerade noch hinter dem Horizont verborgen, dröhnte diese Finsternis und hämmerte dabei unablässig gegen Honors empathischen Sinn. Die Minuten verstrichen. Schließlich nahm Hamish einen weiteren Schluck aus seinem Glas und öffnete wieder die Augen.
»Das habe ich wirklich nötig«, sagte er leise, und Honor wusste, dass er nicht über den Whiskey sprach. »Ich kann selbst nicht glauben, wie bitter nötig ich das habe. Und Emily wird es auch brauchen, sobald du wieder auf die Oberfläche von Manticore zurückkehren kannst.«
»Ich möchte sie auch gerne wiedersehen«, erwiderte Honor ebenso leise. »Aber ich glaube, so rasch wird es dazu nicht kommen.« Ihr Mann blickte sie an, und Honors Lächeln war noch schiefer als sonst. »Hamish, wir nutzen doch jetzt schon schamlos unsere Sonderstellung aus. Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand darüber beschweren wird, und ich denke, wir haben auch genug Berufliches zu erledigen, um uns selbst deswegen nicht übermäßig schuldig zu fühlen. Aber ich werde meine Autorität nicht dazu missbrauchen, mir selbst einen Marschbefehl nach Manticore oder Sphinx auszustellen, nur damit ich meine Familie wiedersehen kann, wenn für all die Leute unter meinem Kommando nicht genau das Gleiche möglich ist.«
Noch während Honor sprach, spürte sie, wie die Finsternis im Geistesleuchten ihres Mannes aufloderte. Kurz glaubte sie schon, er ärgere sich darüber, dass sie nicht bereit war, die Privilegien auszunutzen, die mit ihrem Dienstgrad einhergingen. Doch eigentlich schmeckte es nicht danach. Honor versuchte immer noch, seine Emotionen zu deuten, als Hamish den Kopf schüttelte.
»Du wirst dir nicht selbst irgendwelche Marschbefehle ausstellen müssen, Honor«, erklärte er. »Und es wird auch kein Beispiel für Günstlingswirtschaft sein. Glaub mir, Elizabeth will dich so schnell wie möglich auf Manticore wissen. Sie wird hören wollen, wie Pritchart und ihre Leute auf das alles hier reagiert haben. Und sie wird auch wissen wollen, wie deine eigene Reaktion darauf ausgefallen ist.«
Honor wollte schon widersprechen, doch dann überlegte sie es sich anders. Schließlich hatte er höchstwahrscheinlich ja Recht.
»Ja, das wird sich wohl nicht vermeiden lassen«, gestand sie stattdessen ein, und Hamish stieß ein Schnauben aus.
»Das ›wohl‹ ist hier fehl am Platze«, gab er zurück. Ein Lächeln huschte über Honors Gesicht. Doch dann verblasste es wieder. Sie stellte das Bier, von dem sie noch keinen Schluck getrunken hatte, auf den Couchtisch und legte ihrem Mann zärtlich ihre Hand aus Fleisch und Blut an die Wange.
»Also gut«, sagte sie. »Ich verstehe, was du meinst. Und ich werde nicht einmal so tun, als würde ich Emily nicht mindestens ebenso gerne wiedersehen, wie das umgekehrt gilt. Und wie sehr du die Kleinen wiedersehen möchtest. Aber ich glaube, du vergisst, dass ich dein Geistesleuchten schmecken kann, Hamish.«
Sein Blick verfinsterte sich, als hätten sich hinter seinen Pupillen plötzlich Jalousien geschlossen. Sanft streichelte Honor seine Wange.
»Was auch immer es ist, du kannst mich nicht ewig davor beschützen«, sagte sie sehr leise.
»Ich ...«
Er stockte, blickte ihr fest in die Augen und atmete noch einmal tief durch.
»Ich weiß«, sagte er. Honor schmeckte den Schmerz, der in diesen beiden Worten lag. Sie spürte, wie bewusst ihm wurde, dass Honor, so wichtig sie ihm auch sein mochte, nur eine von buchstäblich Millionen von Menschen war, die Hamish ›nicht ewig davor beschützen‹ konnte. Nicht, dass diese Erkenntnis ihn davon abbrachte, sich von ganzem Herzen und aus tiefster Seele zu wünschen, es sei doch irgendwie möglich.
»Erzähl schon«, sagte Honor.
Noch einen Moment lang blickte er sie nur schweigend an. Honor spürte, wie sehr er sich zusammennehmen musste. Es war genau wie zu Beginn einer Schlacht, wenn die ersten Raketen einkamen und die ersten ihrer Untergebenen den Tod fanden.
»Nach dem Angriff auf Vulcan haben einige Trümmer der Raumstation die Oberfläche des Planeten getroffen«, begann er. Seine Stimme klang tonlos und rau, er sprach die Worte rasch und entschlossen aus. Jetzt, wo der Moment gekommen war, sprach er zu ihr mit der Ehrlichkeit, mit der ein Offizier einen anderen über die aktuelle Lage informierte. »Einer der Schlepper – die Quay – hat wirklich ihr Bestes gegeben, aber alle Trümmer konnte das Schiff einfach nicht abwehren. Einer der Trümmer – ein
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