Der letzte Befehl
Universum zu überschwemmen, und trotzdem schmeckte Honor immer noch das Geistesleuchten ihres Ehemannes. Er wusste, dass er sich eher das eigene Herz herausgerissen hätte, als ihr diese Nachricht zu bringen.
»Raoul und deiner Mutter geht es gut«, sagte er rasch. Dann stieß er einen rauen, hässlichen Grunzlaut aus. »Na ja, soweit man das eben sagen kann. Aber sie waren Yawata sehr nah, als der Brocken eingeschlagen ist. Andrew hat noch dafür sorgen können, dass bei den beiden – und auch bei Lindsey – rechtzeitig der Schleudersitz ausgelöst wurde. Denen geht es gut, obwohl sich Lindsey beim Aufprall das Schlüsselbein gebrochen hat. Aber ...«
Bis eben hatte er noch ihr Gesicht festgehalten. Nun ließ er die Hände sinken und schlang wieder die Arme um sie.
»Er hatte nicht mehr genug Zeit, Liebes«, flüsterte er. »Er hat die drei in Sicherheit gebracht, aber als die Druckwelle auf sie zukam, waren Jeremiah und er noch im Wagen.«
Honor Alexander-Harrington hatte vergessen, dass das Universum derart viel Schmerz bereithalten konnte. Sie wusste, dass schon das Überleben ihrer Mutter und ihres Sohnes ein echtes Wunder war, und sie wusste auch, dass sie niemals in der Lage sein würde, ihre Dankbarkeit dafür in Worte zu fassen.
Doch dieses Wunder hatte einen entsetzlichen Preis verlangt: düster und sehr persönlich. Denn das Überleben dieser beiden war das letzte Geschenk, das Andrew LaFollet ihr jemals machen würde. Das letzte Wunder, das er vollbracht hatte. Nun war auch der Letzte ihrer ursprünglichen Waffenträger von Grayson fort und verloren für alle Zeiten – der Waffenträger, den sie am meisten geliebt hatte.
Ich habe ihn zu Raouls Waffenträger gemacht, damit er nicht mehr so häufig in Gefahr gerät! Um dafür zu sorgen, dass er nicht mehr in meiner Nähe war. Damit er nicht für mich sterben müsste. Der Gedanke durchbohrte den unerträglichen Schmerz. Ich habe es versucht. Lieber Gott, ich habe wirklich versucht, ihn zu beschützen!
Und doch war sie gescheitert. Sie wusste, dass es eigentlich nicht ihre Schuld war. Sie wusste, hätte Andrew bereits geahnt, was geschehen würde, hätte er in ganz genau der gleichen Weise gehandelt. Sie wusste, dass ihr Waffenträger in dem Wissen gestorben war, das Richtige zu tun, und er hatte auch noch erfahren, dass er Erfolg gehabt hatte. Er hatte das Kind beschützt, dessen Leben in seiner Hand gelegen hatte. Das war ja immerhin etwas. Beizeiten würde dieses Wissen Honor vielleicht sogar über dieses betäubende Gefühl der Zerstörung und des Verlustes hinweghelfen. Aber nicht jetzt. Noch nicht.
»Deine Mutter hat darauf bestanden, dass sie alle – einschließlich deines Vaters – nach White Haven fahren, um bei Emily zu sein«, fuhr Hamish kurz darauf fort und riss Honor aus der Dunkelheit, die sie zu verschlingen drohte. »Das war zumindest ihre offizielle Erklärung. Vor allem aber ... vor allem denke ich, das war ihre Rechtfertigung dafür, deinen Vater von Yawata Crossing fernzuhalten. Er hätte da ja ohnehin nichts ausrichten können, Honor. Nicht nach so etwas.«
»Natürlich nicht.« Sie spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen strömten. Die Schuld, das Gefühl, versagt zu haben, war wie ein Messer in ihrem Herzen. »Mutter hatte recht. Das hat sie meistens.«
»Ich weiß«, sagte er leise und rückte noch etwas näher an sie heran, sodass sie ihren Kopf an seine Schulter lehnen konnte. Gleichzeitig kuschelten sich auch Nimitz und Samantha enger an sie.
»Irgendwie ...«, hörte sich Honor selbst sagen, und jegliche Stärke war aus ihrer Stimme verschwunden. Jetzt war dort nur noch eine tote, besiegte Tonlosigkeit. »Irgendwie habe ich nie an so etwas gedacht. Ich habe mir nie Sorgen darum gemacht. Nie ernsthaft. Ich dachte , es sei anders, aber jetzt weiß ich, dass ich mich getäuscht habe. Ich habe nie für möglich gehalten, dass so etwas passieren könnte. Dass ich so etwas zulassen könnte.«
»Das hast du nicht!« Er sagte es leise, aber doch mit Nachdruck. »Es gab überhaupt nichts , was du hättest tun können, Honor.«
»Das hätten wir aber tun müssen. Das hat man von uns erwartet . Das ist unsere Aufgabe, unser Job , Hamish. Und zu was sind wir noch gut, wenn wir nicht einmal unseren Job erledigen können?«
Hamish Alexander-Harrington hörte ihre Trauer, ihren Schmerz, und er verstand sie nur zu gut. Er verstand sie besser, als er jemals etwas im Leben verstanden hatte. Er verstand genau, was seine
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